“Oh, eine Verlosung – gleich mal teilnehmen!”. Wenige Tage später hatte ich eine Email des Outdoor-Magazins im Postfach. Die Idee, sich 24 Stunden lang mit einer sportlichen Aktivität zu beschäftigen, hat mich schon lange fasziniert. Beim Laufen war ich aber bisher spätestens nach 4 Stunden so schlapp, dass ich mir eine Fortführung nur schwer vorstellen konnte. Einem solchen 24h-Lauf durfte ich mal als Zuschauer beiwohnen und sah die meisten Teilnehmer nach einigen Stunden nur noch gehen. Es ist natürlich reine Wortklauberei, aber für mich und meinen Leistungsstand ist eine Teilnahme an einer 24h-Wanderung schlüssiger und, wenn man so will, “ehrlicher”. Ich hätte mich immer geärgert, wenn ich hätte gehen müssen, so klebte schon direkt die richtige Aufschrift drauf.

Die 24 Stunden von Bayern finden jährlich an einem anderen Ort statt, in diesem Jahr im Räuberland Spessart, Startort ist Mespelbrunn. Aufgrund der zweistündigen Anfahrt und des Starts morgens um 8 entschied ich mich für die Anreise am Vorabend. Etwa einen Kilometer vom Start entfernt konnte ich auf einem Sportplatz mein Zelt aufschlagen und sogar auch noch das Auto direkt daneben parken – sehr praktisch. Der Ferienbeginn in NRW hatte leider stauträchtigen Einfluss auf die A3, so dass ich erst nach knapp dreistündiger Fahrt, aber noch rechtzeitig zur Abholung des Startpakets, in Mespelbrunn eintraf. Etwas erschlagen von der anstrengenden Fahrt musste ich direkt vor der sehr lauten Schlagermusik wieder fliehen und fuhr zunächst zum Zeltplatz, um dann nach einer kleinen Pause mit dem Fahrrad den Weg zu erkunden und um Abendessen zu fassen. Nach wenigen Metern stand ich dann im Wald vor einer Rampe, die nur im ersten Gang zu befahren ist. Knappe 100HM später erschien dann der Sportplatz auf der linken Seite. Freundliche Menschen winken mich auf den Sportplatz, Steaks lächeln dazu vom Grill – hier ist es schön. Auto geparkt, Zelt aufgebaut und auf zum Grill. Ein Brötchen mit Bratwurst, eins mit Steak, dazu jeweils ein Bier und das alles fast zum Selbstkostenpreis. Vor einem Lauf hätte ich das wohl eher nicht gewagt. Leider schaffe ich es trotzdem nicht, mich einigermaßen zeitig zu betten. Die deutschen Fußballdamen spielen bei der WM, überflüssigerweise mit Verlängerung und Elfmeterschießen, so dass der letzte Blick auf die Uhr schon die 1 vorne zeigte. Irgendwann um 5 war die Nacht dann auch schon vorbei, weil Regen auf mein Zelt prasselte. Vielleicht schützen Zweige etwas, dafür fallen dann auch deutlich größere und lautere Tropfen. Natürlich habe ich es trotz des langen Abends nicht geschafft, meinen Rucksack zufriedenstellend zu packen… aufs Klo muss ich auch noch… und wieso hört der Regen nicht auf, so war das aber nicht angesagt? Die wenigen Meter zum Klo reichen aus, um meine unbestrumpften Füsse in der Trailrunnigschuhen zu nässen. Das wird nichts! Schnell zurück zum Auto und rein in die Wanderstiefel, die eigentlich nur Ersatz für die Nachtstrecke sein sollten, stattdessen nehme ich die Trailschuhe als Backup und/oder für die Pause zwischen beiden Strecken mit, dazu 3 Dosen Red Bull. “Nur” noch die Beine an der Hose befestigen und die Laufjacke im Auto suchen, denn eine Regenjacke hatte ich überhaupt nicht erst mitgenommen… ups, schon zwei nach 8… aber es bleiben ja noch 23:58. Rauf aufs Rad und gleich wieder runter. Die Abfahrt ist mir zu steil und glitschig. Ich vertraue meinem Fahrrad nicht und den Bremsen noch weniger, außerdem hatte ich am Vorabend ein Schild gesehen und erwartete 443 Wanderer, die mir entgegen kommen. In der Ebene springe ich wieder auf und rase zum Start – natürlich ausgestorben. Gibt es irgendwo Kaffee? Oder ein Brötchen? Nein, egal, los geht’s. Gesagt, (nichts) getan. Der Beutel mit den Schuhen und den Getränken findet leider nicht den Weg in ein Schließfach, sondern verbleibt im Rucksack :( – vergessen. Hier liegt er aber gut neben der Spiegelreflexkamera und weiteren 2l Getränk, die ich den kompletten Tag über nicht anrühren sollte. Sinnvollerweise hätte ich den Trinkbeutel einfach mal ausleeren oder zumindest teilentleeren sollen…

Anmelden muss man sich nicht, sondern einfach nur losgehen. Glücklicherweise bin ich nicht allein, sondern habe noch 4 Begleiter, die ebenfalls länger am Frühstückstisch saßen. Ohne sie wäre ich verloren gewesen und hätte mich nach wenigen Metern bereits komplett verlaufen. Keiner von uns hatte ein Schild gesehen, aber wir fühlten uns alle komisch. Ein Blick auf ein GPS-Gerät bringt dann Klarheit und weist den richtigen Weg. Nach 3 Kilometern durch stetigen und recht starken Regen kommen wir an der ersten Verpflegungsstation an – zumindest theoretisch. Kein Apfel, keine Banane, kein Getränk – leergefegt. Leider sollte das die nächsten beiden Stationen über so bleiben. Die letzten beißen in keine Hunde, oder so ähnlich. Meine Uhr brummt fleißig jeden Kilometer und berichtet von einer Geschwindigkeit jenseits der 5 km/h, trotz einiger Höhenmeter, aber die Strecke ist einfach zu gehen und die Steigungen sind sehr moderat. Am ersten Stand mit Aktivitäten konnte man sich Losungen ansehen und konnte das dazugehörende Tier raten. Das beste daran: überdacht :). Glücklicherweise habe ich hier den Kontakt zur großen Gruppe wiederhergestellt und konnte mein Tempo etwas verringern, trotzdem dauerte es knapp 3 Stunden, bis ich etwas entspannen konnte und mein Tempo sich bei 4km/h eingependelt hat. Endlich kommt nach zwei Stunden ein Stand mit frischen Brötchen und der ersten Mahlzeit des Tages. Die Schlange ist zwar lang, aber der Hunger ist größer. Voller “Freude” schaue ich den Mitwanderern zu, die an der Schlange vorbeigehen, sich ein Brötchen aus der Auslage nehmen und weiterziehen. Ich hätte mich auch gern mit den beiden Brötchen irgendwo kurz hingesetzt, aber es gibt leider keine Sitzgelegenheiten. Nach knapp einem weiteren Kilometer gebe ich auf und esse die Brötchen im gehen. Trotz der Wartezeit passt der Stundenschnitt weiterhin – 14km nach 3 Stunden, dazu lässt der Regen nach und verschwindet ganz. Am Mühlenweg halten mich gleich zwei Stationen auf: Man kann Bierprodukte erdrehen, Schnaps trinken und etwas weiter wartet eine Fußmassage, die ich zwar auslasse, aber dafür einige Minuten auf einem Strohsack ausruhen kann.

Nach einer Wegbiegung wartet dann überraschend plötzlich, aber dafür herzlich willkommen die Schlemmermeile mit dem Mittagessen. Leider ist die Methodik für den Einzelwanderer nicht sonderlich geeignet. Rucksack auf dem Rücken, Stöcke in der Hand, dazu vier Schalen und die Gutscheine. Fehlt noch ein Sitzplatz. Leider konnte ich diese Umstände erst nach einigen Minuten der Wartezeit sehen und wollte meinen Schlangenplatz nicht mehr aufgeben. Ich bin zwar auch nicht so richtig hungrig, aber aufgrund der noch kommenden Kilometer wird trotzdem jedes Schälchen komplett geleert. Garniert wurde das Mittagessen von einer Blaskapelle, die direkt neben der Plane an meinem Ohr gespielt hat. Nichts mit in Ruhe und Frieden entspannt essen. Ich bin aber auch bekennender Biergartenverweigerer, muss ich an dieser Stelle erwähnen, aber eine kleine ruhigere Ecke hätte mir hier sehr gut gefallen. Leider galt das auch für fast alle Stationen auf dem Weg, so dass ich meine tatsächlichen Pausen eher auf den vereinzelt vorzufindenden Bänken vorgenommen haben. Blasmusikkapelle nach Blasmusikkapelle. Etwas Abwechslung hätte mir hier auch gut gefallen, aber vermutlich ist das in Bayern einfach so. Auch wenn mir viele Stationen vom Inhalt her nicht besonders zugesagt haben, so ist doch der Aufwand und der Einsatz der Menschen sehr lobend zu erwähnen! Auf der Tagstrecke gab es gefühlt fast jeden Kilometer etwas anderes zu bestaunen. Nicht besonders loben kann man leider die Landschaft und den Weg der Tagstrecke, der zumeist sehr breit auf Forstwegen und mitten durch bewaldetes Gebiet führt. Durch die vielen Aktivitäten und kleine Gespräche mit Mitwanderern wurde es aber nie langweilig. Nach dem Mittagessen treffe ich auf ein freies Feld mit Schafen und etwas Aussicht, eine willkommene Abwechslung nach und vor so vielen Bäumen. Andererseits haben die Bäume viel Regen abgehalten und später auch eine direkte Sonneneinstrahlung, gerade bei meinem problematischen Verhältnis zur Hitze ganz klare Pluspunkte.

Das Mittelstück flog nur so dahin, plötzlich sind es nur noch 12,5km bis zum Wandermarktplatz. Aber meine Uhr hat schon 28km gezählt? Kurze Zeit später dann die Erlösung: nur noch 8,5km, die Berechnung stimmt wieder. Wie sich aber herausstellen sollte, war das Schild mit den 8,5 falsch platziert, denn eine Stunde später sind wir immer noch fern der Zivilisation, dafür aber mit immer mehr Alkohol im Blut. Zwei Jagdbitter bei den Frankenwaldweibern, gewürzten Wein und noch ein Schnaps an einem Stand, den ich im Moment nicht mehr weiß, etwas Eis zur Abkühlung. Kilometer zu viel, Höhenmeter zu wenig? Nein, nein, die fehlenden Höhenmeter kommen auf den letzten Kilometern doch noch. Ein Wegweiser nennt mir 2km Entfernung zum Schloß, von dem aus es aber auch noch 2,1km zum Wandermarktplatz sind, summiert ca. 41,4km Gesamtstrecke von einer Uhr, die sich eigentlich nicht verrechnet. Ungenaue Angaben machen mich fertig, entsprechend motiviert schleppe ich mich voran und kann auch dem sehr schönen Schloß keine längere Pause als eine zehnsekündige Fotopause zugestehen. Ha! Den Streckenabschnitt kenne ich doch von heute morgen, dann ist es ja doch näher als befürchtet! Nur noch kurz dem Bach entlang. War es aber nicht, es ist zwar der Bach, aber die Brücke, an der ich auf den Weg gekommen war, erscheint einfach nicht. Dazu Sonne von oben, Asphalt von unten, Füße weh. Endlich die Brücke, nur noch knapp 500 Meter. An der Brücke biegen schon Wanderer auf die Nachstrecke, auch wenn die Stände dort erst in einiger Zeit öffnen. Aus Gesprächen kann ich heraushören, dass die Pause möglichst kurz gehalten werden sollte und man später lieber häufiger und länger pausieren würde. Warum, wurde mit eine knappe Stunde später klar. Nach ziemlich genau 10 Stunden nach dem Aufbruch stehe ich wieder am Wanderparkplatz und sinke auf den Rasen. Schuhe aus, Socken aus, auf den Rücken, sogar etwas in die Sonne. Durch die morgendliche Verspätung hatte ich meinen Schwager noch nicht getroffen, der in zwei Stunden weniger sogar noch die Fitnessrunde absolviert hatte, aber dementsprechend auch über Fuß- und Hüftweh klagte. Meine Füße fühlten sich schon etwas müde an, aber nach einem kleinen Zwischentief eigentlich noch ganz gut.

Ich hätte gerne etwas gegessen, aber aus dem Saal drang wieder laute Musik, die ich nur so liegend auf der Wiese einigermaßen ertragen konnte. Wenn ich müde oder gestresst bin, werde ich noch empfindlicher, nach über 41km war das eindeutig der Fall. Ich hatte mir noch keinen rechten Plan über den weiteren Verlauf gemacht, als der Schwager mich fand. Nach einem kurzen Gespräch wollte er bald aufbrechen und kündigte auch eine schonendere Gangart als bei der Tagesstrecke an. So motiviert bin ich kurz hoch, um etwas zu essen und endlich ein WC aufsuchen zu können – auch Mangelware auf der Strecke. Vereinzelte Dixies hätten hier wegen Überfüllung vermutlich auch nicht geholfen. Sehr schade, dass ich nur kurz etwas schlingen konnte, um den Schwager nicht unnötig lange warten zu lassen. So entspannend war es zudem  nicht, weil sich im Sekundentakt Menschen an meinem Stuhl vorbeiquetschten, dabei gab es noch genügend andere Reihen. Dann haben die wenigen Sekunden, in denen ich ein Eis geholt habe, ausgereicht, mich von meinem Platz zu verdrängen. Das supertolle Eis von Möwenpick! durfte ich dann im Stehen genießen, weil es keine außenliegenden Plätze mehr gab – das Schicksal des Einzelwanderer Teil 2. Leerer Teller, halbgetrunkene Flasche? Egal, wegschieben, fertig. Mein böser Blick wurde ignoriert. Die ersten Meter nach knapp einer Stunde liegen waren übrigens schrecklich, jetzt wusste ich, was die Frühlosläufer gemeint hatten.

Wieder rein in die Wanderstiefel. Lustig übrigens, dass ich mir im Vorfeld viele Gedanken gemacht hatte, ob ich es wagen kann, an einer Wanderveranstaltung mit Trailrunnigschuhen anzutreten, oder ob ich sofort der Strecke verwiesen werde? Am Ende war ich doch der Sonderling in meinen schweren Trekkingstiefeln, knapp 75% oder mehr trugen Halb- oder Sportschuhe. Nach wenigen Meter fühlen sich die Füße aber gleich wieder normal an und gewöhnen sich sofort wieder an die gleichmäßigen Schritte. Es wird schwüler und klimatisch unangenehmer, ich trinke doppelt so viel als am Morgen. Da wir uns komplett unterhalten, fliegen die Kilometer nur so. Ca. im Stundentakt meldet sich eine Blase unter dem linken Ballen, gibt aber schnell wieder Ruhe. Plötzlich gibt es auch Ausblick und nicht nur Wald. Es dämmert und uns werden wunderschöne Aussichten serviert. Toll, geht doch :) Die Stationen werden weniger, aber dafür wird Fleischkäse und Obatzda gereicht. Plötzlich ist das Licht dann weg und die Stirnlampe geht an. Trotzdem beginne ich aufgrund der aufkommenden Feuchtigkeit zu schwitzen und mich etwas unwohl zu fühlen. Bergauf fühlt sich bei Dunkelheit irgendwie sinnlos an, man kommt oben an, aber eigentlich ändert sich nichts. Wir leiden beide mehr und auch die Gespräche versiegen bzw. werden einsilbiger. Leider habe ich wie so oft den Startknopf für die Aufzeichnung vergessen und zu spät gedrückt, so dass die Kilometerangabe nur ungefähr und geschätzt ist, aber die Hälfte haben wir definitiv schon hinter uns. Ich beginne mir zu überlegen, wann wir im Ziel ankommen würden. Um vier, oder spätestens um fünf, bei kurzen Pausen. Aber um 8 ist die Verlosung, an der ich gern teilnehmen würde. Und wie läuft es dann mit der Rückfahrt, allein im Auto? Sonnenaufgang beim Wandern wäre auch nett, aber der ist noch sehr fern! Wir erreichen eine Ortschaft, sehen ein Haltesymbol und eine Band, setzen uns zunächst einmal und überprüfen die Rahmendaten. Bus fährt 1km entfernt in 25 Minuten. Passt. Wir können noch gehen, sind guten Mutes, merken aber beide tiefe Müdigkeit. Kein Wunder bei dem wenigen, unruhigen Schlaf in der Nacht zuvor.

Ich bin knapp 60km gewandert, 18km weiter als jemals zuvor. Ich bin zufrieden und kann mit reinem Gewissen den Bus besteigen. Erst heute, fast 4 Tage später, kommen erste Gedanken, ob ich hätte nicht doch durchziehen sollen? Wenig verwunderlich, denn ab heute tut auch nichts mehr weh. Noch gestern fand ich meine Entscheidung goldrichtig. Die Rückfahrt war aufgrund einiger Halts mit ca. einer Stunde Fahrzeit sehr zäh, der Bus zudem mit 44 Sitzplätzen und 10% der Teilnehmer komplett gefüllt. Ich habe kurz überlegt, zum Frühstück wieder zu erscheinen, aber aus moralischen Gründen als nur 16-Stunden-Wanderer und aus Angst vor zu großer Lautstärke dann davon Abstand genommen und meinen Kaffee nur unter dem Geschrei des Campingbusses gegenüber genossen. Frauen und Kind sind wohl nicht mitgewandert und konnten daher voller Inbrunst laute Gespräche über einige Autos hinweg führen. Ich stelle mir nur vor, wenn ich genau jetzt versuchen würde, noch etwas Schlaf vor meiner eigenen Rückfahrt zu sammeln. Unmöglich. aus beiden Blickrichtungen.

Fazit: Was der Tagesstrecke an Abwechslung gefehlt hat, haben die Stationen durch ihren Einsatz komplett ausgeglichen. Es ist Wahnsinn, mit welcher Begeisterung und welchem Aufwand hier ein Event für eine mit 444 Startern doch überschaubare Menge auf die Beine gestellt wurde. Ausschilderung, Ausstattung, Verpflegung. Konstruktive Kritik bringt natürlich wenig, wenn es nächstes Jahr zum Karwendelstein geht. Ich hätte mir mehr Sitzgelegenheiten gewünscht, sowie die Gelegenheit für einen Klogang. Mit der ewigen Blasmusik muss man in Bayern wohl leben, beim Kölner Karneval kommen eben auch nur Stimmungslieder. 2016? Warum nicht.