Knapp 4 Wochen nach Eröffnung des Treks machen die letzten beiden Berggasthäuser ihre Pforten auf, das Rennen um die erste komplette Sammlung hat begonnen! Ich überlege mehrfach im Kreis, wie ich meine Tour plane, komme aber schnell zu dem Schluss, den Wettkampf aus Sicherheitsgründen nicht anzunehmen. Ich möchte einfach nicht eine Gondel nehmen, um die Flaschen zu bekommen, sondern diese “ehrlich” einsammeln. Spätestens als ich hörte, dass wenige Tage zuvor eine Frau abgestürzt sei, war das Thema für mich durch. Jeder soll das machen wie er denkt, aber ich wollte nicht der Erstbegeher sein, der dann auch noch Hilfsmittel benutzt hat. Außerdem als Deutscher den Schweizern den Titel wegnehmen? Ist ja auch nicht nett! Wie man sieht, ich hatte mir genügend Ausreden zurechtgelegt, um mein Scheitern erklären zu können.
Ich hatte einfach im Vorfeld zu wenig Flaschen gesammt, um ohne zu großen Einsatz von Urlaubstagen wettbewerbsfähig sein zu können.
Ich parke mein Auto also wieder in Wasserauen, weise zwei Wanderer, die in kurzer Hose und T-Shirt zum Gipfelsturm starten auf die Schneelage am Säntis hin, die nach einem Kontrollanruf recht geschockt aussahen, aber das Unterfangen trotzdem aufnahmen. Ich wüßte zu gerne, wie es ihnen ergangen ist. Mir erging es nicht gut, das weiß ich immerhin :)

Den Aufstieg zum Seealpsee kann man auf zwei Arten erledigen, ich entscheide mich natürlich gegen die Straße, sondern schleppe mich in der Hitze durch den Wald hoch. Sind doch gar nicht so viele Höhenmeter? Glücklicherweise warten am Seealpsee gleich zwei Gasthäuser, die tolle Aussichten, leckeren Whisky und schön präsentierte Fässer bieten.

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Frisch gestärkt geht es um den See herum, die Meglisalp ist schon fast zu sehen. Auch hier gibt es wieder zwei Wege für den Aufstieg, aber nur einen, wenn man zuvor am See selbst war. Ich weiß nicht, wie der andere Weg aussieht, aber schlimmer als meiner hätte er an diesem Tag kaum sein können. Fast senkrecht schraubt sich der Aufstieg in den Berg, die Hitze ist unbarmherzig, gefühlte 42 Grad, trotz der zunehmenden Höhe. Ein paar Schritte – Pause. Ein paar Schritte – Pause. Leute von unten, Leute von oben, ich leide. Der Rücken tut weh, die Kamera stört, der Hut rutscht und versperrt laufend die Sicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit frage ich Entgegenkommende nach der restlichen Entfernung – knapp die Häfte hätte ich. Also weiter, weiter, weiter. Nachdem der Aufstieg zum Seealpsee schon überraschend hart war, erlebe ich hier mein Waterloo. Statt der angekündigten Stunde brauche ich 2 bis 2,5, wenn ich mich recht erinnere (7 Monate her). Irgendwann erreiche ich eine Ebene und falle für eine Stunde ins Gras. Augen zu und ausspannen. Das war nötig! Der restliche Weg zur Meglisalp entschädigt aber für die Strapaze – was für ein toller Anblick, schön im Halbschatten gelegen.

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Ein Getränk später geht es weiter den Berg hinauf. Mittlerweile naht der Abend, der Rotsteinpass ist noch drin. Ja, es hat noch Schnee, aber man könne einer Spur folgen. Ich vergleiche also die bisherigen Strecken und die noch kommende und entscheide mich, eine geeignete Schlafstätte zu suchen. Wenn ich nach oben schaue, kann ich den Rotsteinpass schon sehen, aber eben noch in sehr weiter Ferne. Während ich mein Zelt an einem kleinen See aufbaue, kommt bei schwindendem Licht noch eine Wanderin, die gepäcklos nach oben möchte. Nun gut, vielleicht kennt sie sich aus. Ich mich nicht, wie ich am nächsten Morgen merken musste.

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Die Entscheidung des Tages bestand nun darin, ob ich mit oder ohne Gepäck gehe. Ohne heißt, dass ich nach Ersteigen des Rotsteinpasses wieder zurück muss. Mit Gepäck heisst, dass ich über den Lissengrat den Säntis erklimmen muss, ca. 800HM mit Vollgepäck und im Schnee über eine sehr anspruchsvolle Strecke. Und WENN ich das machen würde, müsste ich immer noch zu Tierwies und DANACH zu Schäfler, Ebenalp und Aescher. Wie ich es drehte und wendete, es passt nicht gut zusammen. Absteigen zu Tierwies und dann wieder rauf, das alles im Schnee und als Flachlandtiroler ohne Bergerfahrung? Neeeeee, nicht nach der Quälerei am Vortag! Und alles an einem Tag ist sowieso aussichtslos. Das Gepäck bleibt da! Kleine Flasche in die Tasche und los. Die ersten Meter so ohne Gepäck gehen ganz gut, aber irgendwann geht der Pfad aus. Kurz vorher werde ich allerdings erkannt von meinem Photo auf Facebook :) Rechts halten lautet der Tipp für den Aufstieg. Irgendwann ist rechts aber nichts mehr zu sehen. Berg einfach hoch hatte auch jemand gesagt. Ich kann nicht mehr erkennen, wo es langgehen soll. Rechts sieht es nach einem unüberwindbaren Felsvorsprung aus, links ist ein großes Schneefeld bis zum Rotsteinpass, den gerade ein paar Jungs herunterkommen. Durch mein “Vorlaufen” und den frühen Aufbruch bin ich vor allen anderen Aufstiegsaspiranten unterwegs. Ich entscheide mich für das Schneefeld. Ein Horrortrip ohne Schneeschuhe, vor allem als es ins Steilstück geht. Zentimeterweise geht es vorwärts. Parallel dazu sehe ich Wanderer, die vorher weit unter mir waren, einfach auf der rechten Seite hochspazieren. Hm, selbst auf meiner Karte war der Weg exakt da, wo ich war, das entspricht aber wohl nicht der Winterroute. Immerhin habe ich so wieder einen Anhaltspunkt, dem ich folgen kann. Knapp drei Stunden hat es auch ohne Gepäck gedauert, bis ich oben war, 1h15 war aber Meglisalp angegeben, wenn ich mich nicht irre, und ein gutes Stück war ich davon ja auch schon gegangen. Undenkbar, das am Vorabend versucht zu haben! Tolles Wetter, tolle Aussicht, nette Gespräche. Ich bin dann noch einige Meter zum Lissengrat und liess meine Blicke Richtung Gipfel schweifen, ein paar Meter sind es noch ;)

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Runter war es dann teilweise angenehmer, weil man etwas rutschen konnte, trotzdem war ich froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Wieder unten am See traf ich eine Frau, die an diesem Tag ihre Sammlung komplettiert hatte und auch noch von einem weiteren Finisher berichtete. Ich hätte also keine Chance gehabt, egal wie ich an diesen Tagen meine Route gelegt hätte.
In der Meglisalp gab es dann nochmals ein Getränk und eine erfolglose Suche nach den 6 Franken, die ich bei meiner Ruhepause am Vortg aus der Gesäßtasche verloren hatte. Tagesziel Mesmer, sind ja nur knapp 100HM. Haha, jaja. 100 positive Höhenmeter! Trotzdem musste erst ein Kamm erklommen werden, bevor ein Abstieg des Todes wartete, das alles mit einem angekündigten Gewitter. Auf meiner kleinen Wanderkarte war das so nicht zu erkennen! Es ging bestimmt erst 400HM hoch…ich hielt die Augen nach einem Zeltplatz offen, konnte aber nichts brauchbares erkennen. Mit letzter Kraft komme ich bei Mesmer an und frage nach Zeltmöglichkeiten und der Unwetterwarnung. Mir wurde von knapp 30 Minuten berichtet, zudem in die falsche Richtung. Bisher hatte ich fast die dreifache Zeit benötigt und entschied mich so für die Hüttenübernachtung. Ade Abendessen, hallo Dach über dem Kopf.
Ich ruhe mich dann etwas in der Koje aus und bibbere erbärmlich in der feuchten Bettwäsche und dem ungehizten Raum. Ab in den Dauenschlafsack, auch wenn das verboten ist, aber sonst hätte ich keinen Schlaf gefunden. So zwar auch mehr nur gedöst, aber immerhin etwas wärmer.

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Zum Frühstück gibt es dann Cappuccino, ein Nussgipfeli und den Aufstieg zu Schäfler. Natürlich wieder in der prallen Sonne, die Andenken hatte ich noch Wochen später in Form von Sonnenbrand. Ein unendlicher Aufstieg! Zwei Schritte gehen, 10 Sekunden Pause, Trinken und weiter. Meine Ohren spielen verrückt, Druck baut sich auf, pfeifen und plötzlich wieder weg. Der Puls dröhnt. Und immer Schäfler im Blick, in weiter Ferne. Ich habe wieder die dreifache Zeit gebraucht und bin von jedem überholt worden. Oben wieder eine Stunde Pause und Ausruhen. Jetzt nur noch runter, wie ich dachte. Während ich die Gondel sehe, komme ich ins Rechnen. Wenn ich die Gondel runter nehme und mir den steilen Abstieg spare, kann ich es noch zu Tierwies schaffen und ebenfalls finishen, wenn auch einen Tag später. Tierwies und Säntis zu Fuß kann ich immer noch im nächsten Jahr machen, um alles ohne Gondel erledigt zu haben.

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Ich habe noch 30 Minuten, um runter zu Aescher zu kommen und wieder hinauf. Ich jogge regelrecht zurück und schaffe es gerade so in die Gondel. Das Joggen wundert mich, denn so kraftlos bin ich also doch nicht, nur Aufstiege scheinen mir nicht zu liegen.

Unten direkt ins Auto und um den Berg herum, zack, die Wunschgondel noch erwischt. Als ich dem Fahrer mein Ticket gebe und den Haltewunsch Tierwies äußere, schaut er mich nur komisch an und meinte, das ginge nicht. Wegen der hohen Tagestemperatur wären die Schneebrücken sehr dünn und zwei Stunden für hin-/zurück würden nicht reichen, vermutlich würde ich sogar die Hüttenwirte auf ihrem Weg zurück treffen. Ich könne es versuchen, wenn ich wolle, aber er rät mir ab. Hätte ich mein Zelt dabei gehabt, das brav im Auto lag, wäre es eine Überlegung wert gewesen, aber nur mit einem Notbiwaksack ist mir das echt zu heiss, oder eben zu kalt :) Tolle Wurst, die 45 Euro hätte ich mir auch sparen können. So fahre ich also einmal sinnlos nach oben, um dann wieder nach einer halben Stunde Aufenthalt nach unten und unvollendet nach Haus zu fahren.

Teil vier: Anfang Oktober Tagesausflug zum Säntis. Es liegt wieder Schnee, also fahre ich wieder mit der Gondel hoch. Die Zeit im Juni hätte keinesfalls gereicht. Keine Ahnung, wer den Abstieg bei den Verhältnissen in 20 Minuten schaffen kann, ich habe fast eine Stunde gebraucht, wie auch wieder hinauf.

2016, ich komme wieder.