Um den Reisebericht endlich fertigzustellen, erhöhe ich die Erzählgeschwindigkeit etwas, außerdem vergisst man innerhalb eines Jahres einiges. Oh je. Schon fest ein Jahr ist die Wanderung schon wieder her? Und noch nicht Neues geplant… das muss sich ändern!

Der Wecker klingelt unbarmherzig, halb sieben – ist das früh! Schnell einen Kaffee aufsetzen und dabei den Espressokochergriff auf dem Gasherd abschmelzen , war sowieso das letzte Pulver, dann ab ins Taxi und durchs Glen Coe zurück zum Kingshouse Hotel. Der Himmel ist bedeckt mit einigen Löchern und teilweise herausscheinenden Sonnenstrahlen, die die Berghänge anleuchten. Wunderschön! Was für eine Stimmung, die mich glatt zum Morgenmenschen lassen werden könnte, wenn der Morgen nur nicht so früh am Tag wäre.

Direkt hinter dem Hotel sehe ich dann neben einer Brücke eine kleine Campingwiese, die ich am Vortag übersehen hatte. Abgesehen von den Kosten und dem Fahraufwand hätte ich aber ungern den restlichen Vortag im Zelt verbracht. Um das passable Wetter auszunutzen habe ich einen Kaffee im Hotel ausgelassen und mich sofort auf die nächste Etappe gemacht. Nach knapp 4km kommt dann ein Punkt, an dem ich den Buachaille Etive Mòr hochsteigen hätte können, doch der wieder einsetzende Regen und die Unsicherheit, alleine rutschige Hänge hinauf und wieder hinabsteigen zu müssen, lassen mich weitergehen. Devils Staircase heisst die Etappe und stellt den höchsten Punkt des kompletten Weges. Treppenartig geht es zweimal knackig bergauf, gesprenkelt mit andauernden kleinen Schauern und gelegentlichen Sonnenstrahlen in der Ferne. Irgendwann ist dann der Zenit überschritten und ein paar Flussquerungen liegen vor mir, die am Vortag haarig gewesen wären (und gewesen sind, wie ich später erfuhr). Irgendwann geht es noch ein paar Kilometer mittelprächtig über einen recht breiten Schotterweg nach Kinlochleven und vor die verschlossenen Türen des einzigen Fish&Chips-Ladens. Krankheit. Also investiere ich mein Restgeld in abgelaufenes indisches Essen in einem Supermarkt und lege eine Tee- und Essenspause ein. Das Wetter ist nach einem neuenRegenschauer wieder ganz ok, es bleibt noch etwas Zeit und ein Schlafplatz will auch gefunden werden, also breche ich wieder auf und nehme die letzte Etappe in Angriff. Wieso hat mir nur keiner gesagt, dass das folgende Stück der schwerste Aufstieg des kompletten Weges ist? Und was macht genau jetzt die Sonne hier? Nach 2km und vielen Höhenmetern erreiche ich dann den Weg, der geradeaus bis nach Fort William führt. Der Wind bläst hier oben ziemlich und ein etwas geschütztes Stück Gras ist schwer zu finden, also weiter und weiter und weiter. Knappe 2-3 km später findet sich dann endlich ein Plätzchen, das Zelt steht und nach etwas Herumstreunen begebe ich mich zum Essen und Lesen hinein.

Am nächsten Morgen wache ich vom Geprassel der Regentropfen auf. Es gibt ja kaum deprimierendes! Im Wissen, nur noch 2 Drittel der Schlussetappe vor mir und die Höhenmeter fast komplett hinter mir zu haben, bleibe ich liegen. Es wird neun, es wird zehn. Ich koche einen Tee. Plötzlich Stimmen, dann Schritte, erst wenige, dann pausenlos. Ich bin auf einer Autobahn gelandet. Vermutlich sind alle gebündelt um neun aufgebrochen und/oder mit dem Bus aus Fort William gekommen, um die Schlussetappe zu gehen. Unentspannt packe ich meine Sachen und breche ebenfalls auf. Viel zu viele Menschen, jeder Ruhestein ist besetzt, kaum eine Chance um in Ruhe die Morgentoilette erledigen zu können. Halbmotiviert trotte ich dahin und spätestens nach einem Abstecher zu einer Ringwallanlage bin ich wieder fast allein auf der Strecke. Auf halbem Weg fangen meine Füße plötzlich an zu schmerzen, das Ziel naht und die Luft ist etwas raus. Die letzten 4km gehen fast komplett über Asphalt nach Fort William, ein leider etwas unwürdiger Abschied und verbesserungswürdig. Leider muss man den Weg auch wieder zurücklaufen, wenn man auf dem Campingplatz übernachten will. Viele bleiben auf dem Campingplatz und gehen dann am Folgetag die letzten Meter ohne Gepäck -ohne mich- wennschon, dennschon. Mitten beim Verzehr der verdienten Fish&Chips erfahre ich per mail, dass sich meine Gehaltszahlung um drei Wochen verschieben wird. Das erste Mal in 10 Jahren, gerade jetzt! Ich bin geistig und körperlich ziemlich rund, es bleiben aber noch 7 Tage, die verbracht werden möchten. Den geplanten Kajaktrip muss ich so leider ausfallen lassen und faules Busrumreisen kommt mit 10 Pfund Restgeld auch nicht in Frage. Glücklicherweise hatte ich die Busrückfahrt ab Inverness bereits im Internet gebucht und bezahlt. Statt Campingplatz wurde es so also wieder ein Platz im Wald, wo ich allerdings einen Mitzelter traf, mit dem ich dann den kompletten nächsten Tag in Fort William verbrachte.

Wir sind zwar auch bestimmt 15km bei Besichtigung diverser Kirchen und Burgen herumgelaufen, trotzdem tat dieser Ruhetag sehr gut. Leider war auch das Wetter gut und Ben Nevis fast wolkenfrei. Meine Füsse wollten aber bestimmt nicht sofort wieder einen Berg hinauf, also wartete ich auf den nächsten Tag. Und den nächsten Regen.

Bereits um 8 mache ich mich an den Aufstieg, im Regen und fluchend. Der Wind peitscht. Ich verwünsche meinen Startpunkt. Von der Jugendherberge zu starten spart einige Meter, die aber mit unzähligen rutschigen und ungleich hohen Stufen zu bezahlen sind. Immer weiter vorran. Irgendwann ein Lochan und noch immer nicht die Hälfte, dafür ist es kurz flach. Viele Leute hier, viele mit Startnummer. Es lief irgendeine Charityveranstaltung mit hunderten Teilnehmern, die mir dann vor allem beim Abstieg durch das andauernde Überholen auf den Geist gegangen sind. Bei dem Wetter war an Pausen nicht zu denken. Der Regen wird stärker und der Wind erreicht Sturmniveau. Irgendwann tauchen wir in einem Wolken- oder Nebeldecke ein. Es wird steiler und es geht in Serpentinen über Geröll weiter bergauf. Irgendwann ist es wieder flacher, es steht ein verfallenes Gebäude herum  und das Licht ist nur noch dämmrig. Der Regen fällt senkrecht. Der Gipfel! Es geht drei Stufen hinauf, angekommen. Ganz plötzlich, ohne Ankündigung. Erinnerungsphoto, umdrehen, zurück. Mir kommen Gedanken, dass der Rückweg bei schlechter Sicht nur schwer zu finden ist. Glücklicherweise wurden in letzter Zeit Steinhaufen aufgeschichtet, so dass ich sicher aber die Gefahr riechend wieder die Serpentinen erreiche. Endlich Gegenwind, der so stark bläst, dass man kaum nach vorne fällt. Auf halber Höhe lässt der Wind dann etwas nach, der Regen leider nicht. Völlig durchnässt erreiche ich den Startort und schmuggle mich auf den Campingplatz, um eine heiße Dusche ergattern zu können. Im Waschraum treffe ich einige bekannte Gesichter wieder und es werden die Erlebnisse der letzten Tage ausgetauscht.

Der Tag schreitet vorran, ich bin ziemlich erledigt und der Regen hört nicht auf. Glücklicherweise entscheide ich mich gegen einen Aufbruch und baue mein Zelt auf, wohlwissend, dass der Wächter um halb sieben die Zelte kontrollieren wird. Zu der Zeit koche ich bereits meinen Tee in der Küche. Unmotiviert begebe ich mich dann auf den zweiten Wanderweg, den Great Glen Way, der von Fort William nach Inverness führt und dabei fast komplett einem Kanal und Loch Ness folgt. Ich war komplett zufrieden, den WHW in voller Länge und mit Ben Lomond und Ben Nevis absolviert zu haben, der GGW war jetzt nur noch Transfer nach Fort William. Die ersten 5,6 Kilometer geht es durch Außenregionen von Fort William, die weder hübsch sind, noch Übernachtungsmöglichkeiten geboten hätten – ein Desaster bei Aufbruch am Vortag. Am Kanal angekommen gibt es einige Schleusen zu sehen, danach geht es 15km flach und geradeaus am Kanal entlang. Sogar mit etwas Sonnenschein, trotzdem langweilig. An den Schlafort in dieser Nacht kann ich mich gar nicht mehr erinnern.

Am Folgetag geht es an zwei Lochs vorbei, dann wieder etwas Kanal und teilweise matschige Wege. Den GGW kann man auch mit Rad oder Pferd zurücklegen, dementsprechend breit und unpfadig sind die Wege. Die Nacht verbringe ich auf einem Wildcampingplatz für Kanufahrer, die den kompletten Canal befahren können und von mir dafür beneidet werden.

Durch ein hübsches Örtchen komme ich zu Loch Ness, dass 200m hoch auf der Nordseite begangen wird. Loch Ness ist zwar das bekannteste, tiefste und längste Loch, leider aber auch das am wenigsten schöne. Relativ ereignislos und ohne Highlandkulisse zieht es sich fast 40km(?) dahin. Die Vegetation erinnert mich dabei oft an den Schwarzwald. Eigentlich hübsch, aber dafür bin ich nicht in Schottland. Vermutlich bin ich aber auch nur etwas ungerecht und will heim.

Die Krönung im negativen Sinn ist dann der Campingplatz, den ich mir am letzten Abend gönne. Nur Schlamm, Klo mit Sägespänen als Spülung, kein Wasser, keine Getränke. Wofür dann die 5 Pfund? Wanderer, umgeht diesen Campingplatz kurz vor oder nach Fort William, auch wenn aufwendig mit Essen und Trinken und einem Indianernamen geworben wird. Zu allem Überfluss sitzen in meinem Topf am nächsten Morgen 5 Nacktschncken samt haufenweise Schleim. RIP Topf. Pfui! Ade, Tee.

Wieder einmal geht es am Ende lange über Asphalt, bis man schlussendlich durch einen Wald in Inverness ankommt. Einige Vororte werden über Wiesen durchquert, dann ein paar wohl hübsche Flussinseln, für deren Genuss mir aber der Sinn fehlt, dann am Ziel des zweiten Weges. Direkt daneben gleich ein Hostel, meine Kreditkarte lässt wieder Buchungen zu. Fertig.

Den Great Glen Way kann ich leider nur bedingt empfehlen. Wenn überhaupt, dann als Einstieg oder als Kanufahrer, aber nicht als Verlängerung des West Highland Ways. Der Weg ist streckenweise monoton und kommt ohne Schwierigkeiten oder wirkliche Besonderheiten aus. Interessant ist bestimmt auch ein Reggaeschiff (Fingal Cruises), das die komplette Strecke fährt und Fahrräder, Kanus, Segelboot und anderen Kram für täglich andere Aktivitäten mit sich führt.

Noch etwas Stadtbummel, am nächsten Morgen Rugby-WM Schottland-England im Pub, ein wunderschöner Buchladen und mit dem Bus zurück nach Edinburgh. Abschliessend betrachtet war die Reise in Fort William auf dem Ben Nevis beendet, der Rest unnötige Zugabe. Hatte ich erwähnt, dass es an den letzten Tagen so gut wie keinen Regen mehr gab und ich streckenweise sogar geschwitzt habe? Wenn ich aber nur den WHW hätte gehen wollen, wäre mein Zeitplan straffer und ich gestresst und in Zeitnot gewesen.

Gesamturteil: Hach!