Nach dem allgemeinen Blabla folgt nun der detaillierte, emotionale Bericht.

Die Anreise

Nach zwei Jahren Planung, Vorfreude und Mitwanderersuche klingelt der Wecker morgens um halb 6. Der Rucksack wurde schon am Vorabend komplett verpackt, so dass jetzt nur noch das Handgepäck geschultert werden muss. Am Bahnhof in Karlsruhe treffe ich auf Pascal, mit dem ich dann ein Auto zum Stuttgarter Flughafen besteige. Diverse Baustellen in Karlsruhe und Stuttgart sowohl auf der Schiene, als auch auf Straße und Autobahn haben die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber letztendlich zur Mitfahrgelegenheit geführt. Die Autobahn ist dann auch fast staulos und wir nach kaum einer Stunde am Flughafen. 90 Minuten nach Abflug sind wir auch schon in Kopenhagen. Es sind zwar nur wenige Meter zum Hostel, aber der Rucksack drückt schon jetzt schwer auf die Schultern. Bloss schnell wieder abstellen! Nach knapp einer Stunde rumgelümmel auf dem Hostelbett marschieren wir 15km kreuz und quer durch Kopenhagen. Einkaufsmeile, Nyhavn, Hafen, Castellet, kleine Meerjungfrau, botanischer Garten, irgendein Wasser. Puh. Zurück im Hostel treffen wir auf Torben, der sich auf eigene Faust die Stadt angesehen hat. Gemeinsam versuchen wir nun einen Burger zu essen, werden aber Opfer einer Mittagskarte und schleichen uns unauffällig wieder aus dem Laden, schliesslich sollte das Budget nicht gleich am ersten Abend stark reduziert werden! Alternativ bedienen wir uns an einem Pizza- und Salatbuffet und fallen gut gesättigt in die Federn.

Hurra, wir fliegen schon wieder um 9! Schon wieder klingelt der Wecker um 6! Ein Brötchen später sind wir auch schon am Flughafen und sitzen in der Maschine gen Grönland. Leider sind die Filme nicht frei wählbar, sondern es läuft ein festes Programm mit einem langen Werbefilm über Grönland gefolgt von zwei Filmen zur Wahl. Wieso nur müssen fast alle Filme so dunkel sein und die Lautstärke nicht laut einstellbar? So ist oft nur Gespiegel auf dem Display und englisches Genuschel auf dem Ohr. Englische Filme muss ich immer lauter hören, um der Handlung ausreichend folgen zu können. Zwischendurch fliegen wir aber erst über Island und dann von Ost nach West über Grönland, beides fast wolkenlos und mit toller Sicht! Film unnötig, Photos aber leider auch!

Und dann: Landeanflug auf Kangerlussuaq, der erste Kontakt zur grönländischen Luft. Ist es kalt? Wo sind die Eisbären? Nach rechts geht es zu den Anschlussflügen, nach links zur Gepäckausgabe. Nur eine Handvoll Menschen in aussagekräftiger Kleidung wählt den linken Ausgang, viel gibt es hier auch nicht zu tun oder sehen. Außer dem Arctic Circle Trail! Schon in Kopenhagen ist mir aufgefallen, dass es Rucksäcke aller namhaften Hersteller gibt, an den Beinen trägt aber fast jeder nur Fjällräven! Durch perfekte Vorplanung muss ich nur ungefähr 100% meiner Kleidung wechseln, eine kleine Ecke schützt mich beim Tausch der Unterhose, aber warum ist da eine Tür und warum geht die jetzt auf?

Der kleine Rucksack mit der Kleidung für den Ruckweg und die Stadt wird in einem Schliessfach verstaut, jetzt gibt es kein Halten mehr! Oh doch, denn wo ist nur der Supermarkt? Schleppen nach rechts, schleppen nach links. 200m weiter ist der Laden gefunden und der Rucksack kann wieder abgenommen werden. Meine Fresse, ist der schwer! Im Supermarkt dann die erste Ernüchterung: Benzin sei immer verfügbar, so hiess es, nur bei den Gaskartuschen könne es eng werden, wenn überhaupt vorrätig. Es war aber umgekehrt. Alle Flaschen mit Benzin sind ausverkauft. Oh nein, ich habe einen Benzinkocher mit (der zwar auch Gas kann) und ich werde ich benutzen. Irgendwo im Ort gibt es eine Tankstelle, die mit viel Aufwand gefunden wird, bloss kein unnötiger Meter mit dem Rucksack! An der Zapfsäule hängt nur ein Zettel mit einer Telefonnummer, der herbeigerufene Flughafenmitarbeiter erscheint nach einigen Miuten mit einem Auto, kehrt nach weiteren 10 Minuten mit einem Liter White Gas zurück und nach wiederum 10 Minuten mit dem Wechselgeld. Ich bin unheimlich froh, den Start so aufschieben zu können, aber irgendwann geht es nicht mehr anders. Es geht los. Und ich habe einen Zuckerschock! Meine Mitwanderer haben mich im Stich gelassen, so dass ich meinen unterarmlangen Blätterteigbogen mit Pudding und Zuckermasse und Zucker oben drauf alleine essen muss. Kostverächter!

Loslaufen

Ein Auto fährt vorbei, eine Frau winkt. Sie fragte uns kurz vorher im Supermarkt, ob wir auch die erste Etappe mit dem Taxi fahren würden? Nein, wir laufen natürlich, es gehört ja alles zum Weg, auch wenn fast alle Berichte und Bücher einen Transfer empfehlen. Wie habe ich diese demokratische Entscheidung mit Sperrminorität verflucht! 2:1 Stimmen für die Taxifahrt, aber wir gehen zu Fuß! Schon nach 500 Metern geht es den ersten Hügel nach oben! Unzählige Wellen sollten folgen. Ich schleppe mich dahin. Nach vier Kilometern kommt dann der erste hübsche Ausblick, aber ich habe keine Lust stehenzubleiben, der nächste Anstieg wartet schon. Endlich oben, ach nein, noch nicht, nur ein Zwischenplateau. Und die nächste Welle kann man auch schon sehen. Nach knapp 5km sinke ich zu Boden, warum sind wir nur gelaufen? Auf die Idee, dass wir nach wenigen Minuten Autofahrt auch gelaufen wären, komme ich aber nicht! Nie wieder mit so schwerem Gepäck, schwöre ich mir. 19,9kg wog der Rucksack am Flughafen, allerdings mit Wanderkleidung, aber ohne Isomatte, Kabelkram und Photoapparat. Dazu kam dann noch 1l Benzin und 1l Wasser, am Ende wiegt alles schätzungsweise 22-23kg. Viel zu schwer, aber auch viel zu spät für diese Erkenntnis!

Rucksack ab, auf in die Heide, Hut aufs Gesicht, dösen. Nach wenigen Minuten kommen die Mitreisenden. Diese Reihenfolge an einem Rastort sollte es nicht mehr oft geben. Langsam traben wir wieder los, aber ich kann den Schritten schon nicht mehr folgen. Aua, meine Füße, aua mein Rücken! Nach 9km denke ich, dass mich zumindest mein Nacken noch in Ruhe lässt. Das hat er aber gehört und kann das so nicht auf sich sitzen lassen! Kilometer 10, die nächste Pause. Essensaufnahme bei Torben und Pascal (im weiteren Text ToP genannt), mit liegt das Zuckerungetüm noch im Magen! Wir haben den Hafen von Kangerlussuaq schon in Sicht, danach geht es noch nach Kellyville (3km) und dann wartet auch schon der eigentliche Beginn des Arctic Circle Trails (später ACT). Aber wieso geht es schon wieder nach oben? Vermeintliche 15 Kilometer am Fjord entpuppen sich als Asphalthölle mit 300 unnötigen Höhenmetern. Ja, ich bin jammerig! Und ich will endlich ankommen! Es ist zwar noch recht früh am Tag, aber es sind auch 4 Stunden Zeitverschiebung. Dem Buch lag ein GPS-Track bei, an dem wir uns orientieren. Karte und Kompass bleibt fast immer im Rucksack. Die Jungs vom Track hatten ihren Zeltplatz oben auf einem Hügel gewählt, wir campieren zum Glück unten an einem See. Nicht zu früh, meine Füße tragen mich kaum noch! Aua.

Hunger habe ich eigentlich nicht, aber Essen muss man ja und der Rucksack wird dann auch leichter! Chicken Tikka Masala steht heute auf dem Speiseplan* (*zufällig aus dem Rucksack gezogen). Meine Fertignahrung stammt komplett von Expedition Foods, Daumen hoch. 800kcal in ca 140g und das bei sehr gutem Geschmack! Ein Löffel für den linken Fuß, ein Löffel für den rechten Fuß…gar nicht mal so wenig! Vorher musste aber noch der Kocher in Gang gebracht werden. Nach dem ersten Öffnen der Benzinleitung strömt das Nass an ungewünschter Stelle hervor und der ganze Kocher steht in Flammen! Glücklicherweise ist nur eine Schraube leicht verkantet, die sich leicht richten lässt. Entgegen unseres ersten Versuchs kocht das Wasser auch schon nach knapp 4 Minuten. Uff! Den halben Tag in Kopenhagen hatten wir mit Berechnungen der potentiell benötigten Benzinmenge verbracht. Großzügig kalkulieren und dann nochmals verdoppeln. Hat gut funktioniert, denn wir hatten am Ende  noch mehr als die Hälfte übrig. Mit Kartusche wäre das allerdings ein teurer Spass geworden, 20 Euro für die Katz.

Irgendwann verschwindet die Sonne und wir im Zelt, ganz schön kühl da draußen, da hilft auch die übergeworfene Daunenjacke nicht.  Eigentlich will ich noch etwas lesen, aber zuerst müssen die Füße wieder warm liegen. Ach, wo ich gerade liege… Irgendwann wecken mich dann Tropfen auf dem Zelt, es ist schon wieder hell geworden. Bei Regen aufstehen zu müssen, ist mit das Schlimmste beim Zelten! Also bleiben wir liegen! Um 10 hilft aber nichts mehr und wir müssen raus! Frühstücken mag ich nicht, kein Hunger. Kaffeemachen? Stress! Aufstehen? Kalt und Regen! Draußen ist allerdings immer weniger Regen, als es sich im Zelt anhört.

Es geht los

Wenn man unten am See zeltet, führt der erste Weg wieder aufwärts! Ächz! Da, das erste Steinmännchen, hier beginnt der Weg! Gleich mal 2 Meter im freien Fall direkt in flauschige Heidelandschaft. Weg? Fehlanzeige? Und wo geht es danach hin? Ich stolpere einige Meter hinter ToP und bin ratlos. Kostet das Kraft in diesem weichen Geläuf! Muss das so? Bleibt das so? Bald sind wir wir wieder auf Seehöhe, dann ertönt der Ruf, dass wir wieder zurück zur Strasse müssen. Alles wieder hinauf? Grr, hätte man das nicht vorher sehen müssen oder können? Sind unsere Trackgeber nur verirrt, oder musste einer austreten oder Wasserholen? Nach gefühlten 30 Minuten stehen wir kaum 250m entfernt vom Steinhaufen wieder an der Straße. Ich bin fertig für den Tag :) Noch ein wenig Schotterpiste und es geht wieder richtig ins Gemüse. Der Hut wird tief ins Gesicht gezogen und jedes Stückchen Haut vor Regen und kaltem Wind geschützt. Nach ca. 5km kommen wir an einem alten Wohnwagen an, der mit zwei Anbauten als inoffizielle Hütte dient. Leider ist der größere Teil von anderen schutzsuchenden Wanderern besetzt, so dass uns nur ein kleiner Kabuff bleibt. Ich brauche Minuten, bis ich meine in Fahrradhandschuhen steckenden Hände wieder bewegen kann. Machen hätte ich sowieso nichts können, da T mir durch geschickte Raumausnutzung kaum Platz zum Umdrehen oder Absetzen meines Rucksacks lässt. Aufgrund der Auskühlung entscheiden wir uns für ein warmes Mittagsmahl. Bei mir gibt es heute Chicken Korma. Ein Gedicht! Würde ich glatt so im Restaurant bestellen. Mittlerweile tröpfelt es nur noch. Mit warmen Bauch und neuem Mut stapfen wir weiter. Ich kann sogar knapp einen Kilometer das Tempo halten, bis ich wieder abreissen lassen muss. Voller Bauch läuft nicht gerne. Nach weiteren 6 Kilometern muss ich fast schon Tilt melden. Mein letztes Wasser hatte ich zum Kochen verwendet und so trocknete ich langsam aus, kein See bot sich auf diesen Metern zum Wasserholen an. Und es geht andauernd bergauf, auch wenn die Höhenmeter für diesen Tag mit 89 angegeben waren. Eine spätere Überprüfung hat den Fehler erklärt: es waren 89 Meter Abstieg. Details… Wir einigen uns auf ein verfrühtes Nachtlager, weil mir die 6km bis zum eigentlichen Etappenende sehr lang erscheinen und die Folgeetappe nur 7km beträgt. Ich falle auf die Isomatte sobald das Zelt steht! Erst drei Stunden später bin ich fähig, ca 80g Studentenfutter zu essen, die zweite Hälfte dann am nächsten Morgen. Wirklich Hunger habe ich nicht, aber muss ja. Wirklich Schlaf finde ich nicht, kein Wunder bei knapp 13 Stunden Liegen in der vorherigen Nacht.

Der nächste Tag beginnt gleich mit einem Anstieg, den ich am Vortag wirklich nur sehr ungern absolviert hätte. Wieder unten angekommen wartet der erste zu überquerende Bach, den wir aber problemlos über einige Steine hüpfend passieren können. Danach geht es natürlich wieder direkt bergauf. Und wieder runter. Und wieder rauf. Irgendwann erscheint in der Ferne die erste Hütte, die aber nur langsam näherkommt. Plötzlich ist der Pfad verschwunden, aber zwischen uns und dem Seeufer liegen noch ca. 150 Höhenmeter. Über Gebüsch und Stein geht es zickzackförmig bergab, meine Spezieldisziplin! Neidisch sehe ich dann irgendwann, wie ToP schon fast an der Hütte sind, ich sollte erst Minuten später folgen. Endlich wieder sitzen! Pustekuchen. Die Tschechen, die schon die Sitzplätze des Wohnwagen belegt hatten, breiten sich auch hier aus. Am Ufer des Sees sollten einige Kanus liegen, mit denen man die folgenden 25km auf dem Wasser statt am Seeufer zurücklegen kann. Leider sind beide Kanus, von denen uns am Morgen berichtet wurde, bereits wieder auf dem Wasser. Wir überlegen, ob wir auf das nächste Kanu warten, oder die Wanderung fortsetzen. In der kleinen Hütte mit 5-6 Schlafplätzen befindet sich eine kleine Kochecke, die wir auch zur Zubereitung des Mittagessens nutzen. Bereits am Mittag zuvor hatte ich Schwierigkeiten, die Portion zu schaffen, auch heute gelingt es mir nur mit größter Mühe. Danach versuche ich eine halbe Stunde liegend zu dösen, aber eigentlich friere ich nur. Die Sonnenplätze vor der Hütte waren ja besetzt.

Irgendwann brechen wir dann wieder auf und folgen dem Ufer des Sees. Nach ca. 2 km müssen einige Findlinge und Geröll überquert werden, dann wartet auch schon die angeblich schwerste Stelle des Trails. Die Steine sind trocken und der Wind schwach – wir haben keine Schwierigkeiten und können so langsam auch die beschriebenen leichten Übertreibungen des Buches einschätzen. Abermals zeichnet sich ein leichter Anstieg am Horizont ab, als ein hübscher Sandstrand zum Campen einlädt. Wir haben zwar erst ca. 13(15?) km hinter uns, aber meine Füße sind matt und die Stelle toll. Die nächsten beiden Etappen sind mit 11 & 15 Kilometern und wenigen Höhenmetern recht gemütlich, außerdem liegen die ersten Kilometer der 11 bereits hinter uns, also entscheiden wir uns um 18:00 Uhr für unseren frühesten Feierabend. Die Sonne scheint noch und beschwert uns eine tolle aussicht über den See. In der Ferne sehen wir dunkle Wolken und kräftigen Regen. Genau dort geht es übermorgen hin! Zum Zeitvertreib gehe ich gepäcklos die ersten paar 100m des Aufstieges. Es ist zwar erheblich einfacher, aber ich komme auch so recht schnell außer Atem. Hunger habe ich wiederum nicht, nehme mir aber 100g Erdnüsse mit ins Zelt. Die Rucksäcke legen wir immer im zweiten Zelt ab, es erfordert also immer allerlei Vorausplanung um alle gewünschten Artikel auch im richtigen Zelt zu haben. Leider ist mir das im Falle des Whiskys nie gelungen, so dass auch hier kaum Gewichtserleichterung eintreten konnte.

Einige Nüsse hatte ich noch am Vorabend gegessen, einige gibt es nun zum Frühstück. P bietet mir noch etwas heißes Wasser an, das ich für mein erstes Porridge nutze. Die Kombination mit den restlichen Nüssen, den Salzresten in der Tüte und das Fehlen von Milchpulver erweist sich aber als absolut eklig und schliesst das Kapitel Porridge für diese Wandertour ab. Nur mit Mühe kann ich die wenigen Löffel bei mir behalten, der Rest fliegt in hohem Bogen in die Botanik. In der Nähe unseres Zeltes hat sich ein weiteres Zelt aufgebaut, das mich zu einem weiten Weg zur Verrichtung des morgendlichen Geschäftes zwingt, mich aber mit einem traumhaften Ausblick belohnt – a shit with a view!

Mit Ausblick auf den flachen Resttag schleppt es sich doch gleich viel motivierter den Hügel hinauf. Insgesamt soll dies unser längster Tag werden und uns ausreichend auf die an Höhenmeter und Kilometern reicheren Etappen gewöhnen. In bewährten 5-km-Stücken legen wir Kilometer um Kilometer zurück, bis wir am Kanucenter ankommen. Leider liegen auch hier keine Boote, obwohl uns an den beiden vorherigen Tagen keine entgegen gekommen sind. Von einem in Grönland lebendem Dänen, der mit seinen Eltern auf Tour ist und gerade einen Schneehasen zerlegt, erfahren wir von der Weiterfahrtmöglichkeit zu einer 4km entfernten Landzunge, die auch unser Nachlager werden sollte. Ich hätte zwar den Tag schon gern in dieser großen Hütte geschlossen, aber die nächste Etappe ist mit 650 Höhenmetern und 21 Kilometern angegeben, ohne ausgewiesene Zeltmöglichkeit auf den letzten Kilometern. Ich schlage ein direktes Lager vor dem Hammeraufstieg vor, aber P weist auf seinen begrenzten Essenvorrat hin, der nicht mehr als 10 Tage zulassen würde, wohingegen T und ich uns auf die maximale Anzahl an Tagen vorbereitet haben. Es muss also weiter gehen, 4km klingen ja machbar. An der Hütte gibt es die Möglichkeit, seinen Müll abzuladen. Ich nutze die Gelegenheit, mich von meinen Joggingschuhen, der zweiten Hose und meinen Gaitors zu trennen, wieder ein Kilo weniger. Diese 4km waren allerdings Luftlinie und führen durch anspruchsvolles, oft wegloses Terrain. Immerhin kann man die Halbinsel und die dort liegenden Kanus schon in der Ferne liegen und blinken sehen. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich kein Mittagessen hatte. Im Kanucenter wollte ich mich gemütlich auf das dortige Klo setzen, aber der Gestank aus der Tüte hat mich würgend wieder sofort rausgetrieben. Dieser Würgereiz sollte mich nun die nächste Zeit begleiten. Schon der Gedanke an Studentenfutter oder andere Nahrung liess sich den Magen fast umdrehen. Zu Abend gab es daher nur eine Tasse schwarzen Tee, der mich zwar schön gewärmt, aber auch lange hellwach gehalten hat. Immerhin konnte ich so einige Seiten in meinem Buch lesen. P nimmt mir zur weiteren Gewichtserleichterung den Kocher und den Topf ab. Weil ich nichts essen und auch die teure Spezialnahrung nicht wegwerfen möchte, wird der Rucksack auch kaum leichter, Nachts schlief ich, wenn überhaupt, genauso unruhig wie die Nächte zuvor. Gefühlt überhaupt nicht, es wurde aber von Schnarchen berichtet.

Zum Wachwerden locke nun der erste Kaffee und einige Stücke Trockenobst, die mir auf den ersten Metern etwas Energie geben haben. Unterstützend, immerhin hatte ich am Vortag fast nichts gegessen, gibt es einige Stücke Beef Jerky, Relativ schnell liegen die ersten 11km des Tages hinter und der große Aufstieg vor uns. An einem traumhaften Strand mit kristallklarem Wasser legen wir eine ausgiebige Pause ein.

Ich döse wie üblich etwas in der Sonne. Hunger habe ich kaum, esse aber ein Ministück Salami   – ca. 4 Gramm – und knabbere etwas an einem Haferkeks. Jetzt noch ein Kaffee, wach werden und weiter gehts. Aber erst noch den Kaffee wieder in einen Busch brechen, bitte. Örgs. Magen zu voll? Psychosomatisch wegen des zu erwartenden Anstiegs? Man weiß es nicht. P reicht mir ein Gel, das ich mit etwas Wasser zu mir nehme und glücklicherweise auch in mir behalten kann. Ich befreie mich von weiterem Essen, das ich nicht mehr zu mir nehmen werde. Nach kurzer Zeit brechen wir dann zu dem steilen Aufstieg mit 350 Höhenmetern auf und werden oben mit traumhaften Ausblicken belohnt.

Das Dach der Tour ist erreicht.

Das denken wir einige Male, denn nach dem vermeintlich höchsten Punkt geht es nur wieder weiter hinauf. Die Höhenangaben von GPS Geräten sind eben doch eher diskutabel. P hatte in der Etappenvorstellung noch gesagt, es ginge am Ende der Etappe dann nur noch berab. Trotzdem müssen wir uns Hügel um Hügel wieder hinaufschleppen, also ich zumindest. Und nochmal hoch. Ein späterer Blick auf das Höhendiagramm und ein Gespräch mit P bringt dann Klarheit. Insgesamt geht es runter, die häufigen kleinen Anstiege hatte er nicht beachtet. Für mich waren es aber immer wieder kleine Stiche, denn geistig hatte ich mit den Höhenmetern an diesem Tag schon abgeschlossen. Am Ende steht irgendwas mit 24 statt 21km auf dem Gerät. Wir erreichen die erste Hütte, die uns als Nachtlager dienen soll. In der Hütte lächelt uns Maria, eine Studentin aus Bremen entgegen. Ich sinke völlig ermattet und entkräftigt auf eine Holzpritsche, während ToPuM munter quatschen. Nach ca. 15 Minuten schaffe ich es zu erwähnen, dass ich auch reden könne, sobald ich mich etwas erholt hätte. So richtig gemütich ist es auf der Pritsche allerdings auch nicht, dazu auch noch eng. Ohne Abendessen versinke ich im Schlafsack.

Ohne Frühstück geht es gemächlich wieder aus den Federn, denn es erwartet uns ein vergleichsweise leichter Tag mit nur 17km, obwohl zuerst über 200 teilweise steile Höhenmeter bezwungen werden müssen. Ebenso steil geht es danach wieder bergab. Zwischendurch können wir unsere ersten Schneehasen bewundern, deren Tarnung im Sommer nicht wirklich funktioniert. Schneeweiss in grünbrauner Landschaft. In der Mittagspause gönne ich mir sogar wieder Essen. Glatte 5 Gramm Lakritz, die mich komplett füllen.

Nach einigen Kilometern mit viel Feuchtigkeit und viel Sonne und viel Getier im Gesicht erreichen wir unsere erste Furt, sehen aber nicht das Steinmännchen, dass die beste Stelle markiert. Raus aus den Schuhen, raus aus der Hose! Ich schlüpfe in meine Seal Skinz und daraufhin noch in meine Badeschlappen, dann geht es ab ins Wasser! Das kalte Wasser merke ich durch die Seal Skinz kaum, erst an der etwas tieferen Stelle läuft es auch in den Socken. T hat weder Socken noch Schuhe an, ist dadurch langsamer und blockiert den Ausstieg! Ich will doch raus aus dem kalten Wasser! Der Halt ist so lala. Auf den Steinen geht es, aber der Socken im Schuh rutscht etwas hinundher. Von Maria hatten wir erfahren, dass es an der nächsten Hütte kein Wasser gäbe, ebenso auf den ersten 10km der Etappe. Die Trinkblase wird also mit 3l komplett gefüllt! Endlich wieder ein richtig schwerer Rucksack. Ächz! Und dann geht es hügelig weiter, mit dem schweren Gewicht auf dem Rücken, den letzten Kilometer zur Hütte sogar komplett berauf! Ich krieche mehr, als ich gehe. ToP kann ich nur noch als kleine Punkte am Horizont wahrnehmen. Zu allem Überfluss ist die Hütte auch noch von 3 grönländischen Jägern belegt, die aber zumindest einen Schlafplatz wieder freigeben, so dass wir uns 2×3 auf die Zweierplätze kuscheln können. Zum weiteren Überfluss wird die Hütte mit einem Petroleumkocher in eine Mischung aus Sauna und Stinkbombe verwandelt. Aber ich sitze sowieso nur teilnahmlos auf einem Stuhl und versuche nicht hinuterzufallen. Ich schaffe es noch, mich zu erheben und auf die Matratze zu sinken. Hätte ich mal den Whisky nicht in der Hütte gelassen, wir hätten bestimmt Spaß mit den Jägern gehabt!

Am Morgen nach einer gewohnt schlafarmen Nacht wird bereits ab 6 Uhr gerödelt und die Luft verpestet. Puh. Irgendwann brechen die Jäger aber auf und wir haben wieder etwas Ruhe. Vor uns baut sich eine weitere Wand mit ca. 350hm auf. Der Rucksack muss leichter werden. Mein restliches Studentenfutter und meine Superfrüchte müssen leider hier in der Hütte bleiben, wieder knapp 1kg weniger. Hoch, hoch, hoch und hoch. Da, ein See! Hübsch hier, aber leider geht der Weg hier nicht lang! 1,6km Umweg… natürlich ging es zum See auch noch bergab. Ganz oben angekommen erwarten uns 360Grad Rundumsicht mit tollen Seen auf allen Seiten! Traumhaft.

Mir fällt jetzt gerade auf, wie selten ich über die Landschaft schreibe, aber das entspricht genau meinen Empfindungen. Die Umgebung ist toll, aber den Hauptplatz in meinem Kopf nimmt mein eigenes Leiden ein. Da ich fast immer weit hinter ToP hinterherhänge, nehme ich mir oft auch zu wenig Zeit, um die Landschaft zu bewundern und zu geniessen. ToP warten fast immer an schwierigeren Stellen, oder wenn der Sichtkontakt abreisst. Oder laufen sie aber los, wenn ich gerade angeschlichen komme. Ich puste zweimal durch und bin wieder 30 Meter hinten. Schlimmer ist es aber, wenn ToP bereits starten, ich aber noch 50 Meter entfernt bin. Ich hatte so meine gewünschte Solowanderung, fühlte mich manchmal aber auch etwas alleingelassen. Gut, reden kann man währenddessen sowieso kaum, weil immer nur Platz für einen Wanderer ist. Besonders auf den letzten Kilometern des Tages hätte ich jedoch gern noch 50mal gefragt, wie weit es denn noch sei? Wirklich verlässlich waren die Angaben aber nie. Entweder war die Entfernung nur reine Luftlinie, oder die bisher gelaufenen Kilometer passten nicht mit den Angaben des Buches zusammen. Es war immer weiter, als gehofft :).

Wir steigen wieder viele Meter hinab und erreichen einen traumhaften See, der an zwei Seiten von Felswänden umrahmt wird. Wir müssen knapp über dem Wasser über einen teilweise steilen Trail gehen, der uns bei den trockenen Konditionen aber wenig Mühe bereitet. Später können wir uns zwischen einem weiteren Weg am Ufer oder auf halber Höhe am Berg entscheiden. Weil ich mich geade mal nicht in der Spitzengruppe befinde, kann ich keinen Einfluss auf die Entscheidung nehmen und muss mit relativem Unwillen den Hügel hinauf und wieder etwas runter und wieder hinauf und etwas durchs Gestrüpp hinunter, immer auf den ebenerdigen, tollen Pfad am Ufer schielend, denn einen Weg gibt es hier oben nicht. Die letzten Kilometer werden dann so richtig schön nass, aber zum Abschluss wartet noch eine Furtung. Wir können uns lange nicht für eine Stelle entscheiden, als T die Zielhütte hinter einem Hügel entdeckt.

Die GPS Koordinaten waren hier nicht ganz genau. Was für ein Glück! Die Hütte ist aber neu und riesig, so dass wir alle in großer Entfernung voneinander schlafen können. Trotz der nicht ganz leichten Etappe mit am Ende über 800hm bin ich am Abend zum ersten Mal nicht völlig geplättet. Ich wage einen ersten Versuch, wieder etwas Nahrung zu mir zu nehmen. Ich fülle 3 Esslöffel Couscous in eine Tasse, füge etwas Hühnerbrühe und kochendes Wasser hinzu. Flüssig bekomme ich so das Essen in den Magen. Es gibt sogar Nachschlag, auch wenn der Magen danach etwas drückt.

Gefühlt bekomme ich auch etwas mehr Schlaf als in den vorherigen Nächten, was ich dann sogar mit einem Frühstück belohne. Lustlos beiße ich in einen Müsliriegel. Bääääh, wieso habe ich die vorher nie probiert? Ich tunke das Ende in meinen schwarzen Tee und siehe da, so kann ich den Riegel geniessen. Mittags dann 7,5 – 10 Gramm Lakritz und mein Essen für die letzten 3 Tage steht. In Summe werden es knapp 5.500 kcal für die 10-tägige Wanderung. Ungewolltes Fastenwandern!

Je toller die Hütte und je kürzer/einfacher die nächste Etappe, desto später der Aufbruch. So spät wollten wir gar nicht los, aber die Uhr von T hatte sich um eine Stunde verstellt. Auf uns wartet direkt die schon am Vorabend gesehene Furtung, die uns insgesamt fast eine Stunde kostet. Auf halber Strecke schwimmt mir auch noch eine Badeschlappen davon, den P aber auf seinem Weg an einem Stein sieht und mir wieder zurückbringt.

Eine neue Taktik muss her! Nach guten 4km am See entlang schlängelt sich der Weg gemächlich zwei Hügel hinauf. Auch so kann man 200hm hinter sich bringen! Geht doch! Auf der anderen Seite steigen wir in ein langgezogenes Tal hinab, bleiben aber auf halber Höhe und geniessen teilweise wunderschöne Ausblicke. Endlich sehen wir auch einige Rentiere, die sich viel besser tarnen als die Schneehasen, ohne Bewegung sind sie kaum zu sehen.

Am Ende des Tals dann nur noch links, aber wie üblich nimmt der Weg kein Ende!

Heute sind es zwar nur 15km, aber trotzdem sind wir nicht weit vor 8 in der nächsten Hütte. Nachts weckt uns P mit einem Polarlichtschrei, dem ich bereitwillig nach draußen folge. Bereits ein Jäger und auch die Tschechen hatten von Sichtungen berichtet. Etwas grünliches Licht war zu erahnen, aber nicht vergleichbar mit Aufnahmen, die man aus dem Internet kennt. Puh, ist das plötzlich kalt so ohne Tageslicht! Ab zurück in den Schlafsack und den Kopf auf die Daunenjacke gebettet. Achja, die Daunenjacke. Weil ich fast immer schnell im Zelt verschwunden bin, es tagsüber warm war und in der Hütte auch nicht nötig, hatte ich ein 200 Euro teures  Kopfkissen bei mir…

Das Buch hat die nächste Etappe schon angekündigt, andere Wanderer ebenfalls. Es wird nass! Gefühlt die längste Etappe. Fluss über Fluss, Wasserlauf über Wasserlauf, Feuchtwiese über Feuchtwiese. Einen Pfad gibt es oft nicht, damit sich kein Weg in den morastigen Untergrund trampelt.

Egal wie groß der Umweg ist, am Ende macht es immer zweimal platsch oder fump! ABER: mein Schuh hat KOMPLETT dichtgehalten. Sogar als ich zweimal bis Mitte Unterschenkel im Wasser stand, hat die Kombination aus hohem Schaft, dicker Socken und gewachster Hose kein Wasser in den Schuh gelassen, trotzdem schmerzen meine Füße von Tag zu Tag mehr. Auch dem Rücken geht es trotz leichterem Gewicht nicht viel besser. Die Füße gewöhnen sich an die Belastung, den Rucksack spürt man nach einigen Tagen nicht mehr. Äh nein, nicht so bei mir. 4 Flüsse müssen wir an diesem Tag furten, meine neue Taktik funktioniert perfekt: mit nacktem Fuß in die Badeschlappen, dann die Seal Skinz komplett drüber. Die Füße sind geschützt und haben einen super Halt!

Immerhin wusste ich, dass die Hütte heute 100 Meter höher als der restliche Weg liegt, viel besser hat das den Aufstieg aber auch nicht gemacht. Warum immer am Ende des Tages? Entweder gab es eine extrem nasse Wiese oder einen ordentlich oder kräftezehrenden Aufstieg.

Die letzte Nacht des Trails liegt vor uns! In der Hütte gibt es nur 3 Schlafplätze, die für uns aber reichen. Der wolkenlose Himmel und die hohe, exponierte Lage versprach uns Polarlicht, aber nachts zog Nebel auf, der eine Sichtung leider unmöglich machte. Um 7:30 klingelt dann der Wecker, der von uns aber komplett ignoriert wird, auch wenn wieder über 650hm und 22,5 Kilometer anstehen.

Im Nebel können wir das uns den Weg markierende Steinmännchen nicht sehen, so irren wir etwas herum und machen gleich mal unnötige Höhenmeter. Erst nach einigen Kilometern fällt mir auf, dass wir fast direkt an einem See entlang laufen, der vom Nebel verhüllt war. Der harte Aufstieg beginnt, aber ich gönne mir immer wieder kleine Pausen, um den sich über dem See verziehenden Nebel zu bewundern.

Leider enttäuschen die Photos ein wenig, die tolle Stimmung konnte ich nicht einfangen. Oben angekommen bietet sich ein wunderschöner Blick auf ein Tal mit einigen Zeltmöglichkeiten. Ich wäre gern geblieben, aber das hätte uns den freien Tag in Sisimiut teilweise gekostet.

Nach einem langen Abstieg geht es knapp 2km über ein Geröllfeld mit teilweise vielen, großen Steine, die mit recht hoher Aufmerksamkeit überquert werden mussten. Es macht zwar viel Spaß, hier ein hohes Tempo vorzulegen, aber ein falscher Tritt liess mich wieder die Vorsicht walten, zumal ich mir am Vortag bereits bei einem unnötigen Sprung die linke Wade geprellt oder gezerrt hatte, zumindest fühlte es sich an wie ein Pferdekuss, der sich immer bei Beanspruchung gemeldet hat. Es geht nochmals sanft 100hm bergauf, dann wartet nach einer Biegung Sisimiut in weiter Ferne, allerdings sollte es noch lange dauern, bis wir einen Fuß in die zweitgrößte Stadt Grönlands setzen können.

Nochmal links, nochmal rechts, nochmal kompliziert und steinig am See entlang, dann über eine Brücke und endlose 4km über Asphalt bis in die Stadt. Wir sind aber erst am Stadtrand, bis zum Hostel sind es weitere 3km. Nach einem kurzen Besuch in einem Supermarkt und dem erfolglosen Versuch, ein Feierabendbier zu kaufen (Sonntags nie, sonst nur bis 18 Uhr) kommen wir gegen 20:30 am Hostel an. Keiner da, aber eine Telefonnummer. Keiner geht dran. Dann doch, aber wir werden nicht verstanden. Beim dritten Versuch erfahren wir, dass die Nummer falsch ist. Dann wiederrum im zweiten Versuch können wir der Dame sagen, dass wir gern ins Hostel möchte. Kaum 10 Minuten später ist sie dann da und wir haben wieder ein Dach über dem Kopf. Hatte ich erwähnt, dass das Hostel wieder auf auf einem Hügel liegt? Nein, aber logisch, oder?

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