Allerlei komische Geräusche sind in der Nacht zu hören gewesen. Tritte, Scharren und Lärm. Dazu Regen auf das Dach und Wassereinbrüche an einigen Stellen. Ein spitzer Aufschrei meiner Mitbewohnerin weist auf mindestens einen Ursprung der Geräusche hin: Mäuse/Ratten! Brot, Käse und Süsswaren – alles angenagt und wild im Raum verteilt. Mir fehlen nur 2 einzelne Rolos aus einer Packung, die sich in meinem Hüftgurt befunden hatte. Da Mäuse wohl keinen Reissverschluss öffnen können, haben sie halt das Gewebe aufgenagt. Der Rucksack ist also eingeweiht, das Loch allerdings ist recht klein und zu verschmerzen. Die Münchner brechen recht bald auf, ich lungere wie üblich noch etwas rum und geniesse die Einsamkeit. Der Blick auf die Karte zeigt ein weiteres Bothy in ca 12km Entfernung. Super, da wandere ich hin. Nach einem weiteren Erkundungsgang, der ebenfalls von der Unbegehbarkeit des Pfades begrenzt wird, komme ich wieder auf dem WHW an und trotte weiter entlang des Loch Lomond, dessen Ostufer fast in kompletter Länge vom WHW begangen wird. Da, plötzlich, Sonne die den Weg durch die Baumkronen findet. Ungeachtet der wenigen erst gelaufenen Meter steht die erste Pause an und ich breite das Zelt und die Isomatte auf dem Weg aus.
Es ist Sonntag und das Wetter ist gut, wie geschaffen für Ausflügler aus Glasgow, die scheinbar genau diesen Wegabschnitt toll finden. Mehrfach muss ich also meine Sachen vom Weg räumen. Richtig schlimm wird es aber erst, als ich kleine schwarze Stellen auf meinen Armen bemerke, die plötzlich zuckersüss schmerzen. Midges. Es ist mässig windig und feucht, ideale Bedingungen für die Viecher. Ich setze also meinen Imkerhutähnlichen Schutz auf, der leider an den Armen wenig nutzt, und flüchte. Zum Ende meines Aufbruchs kommt ein weiterer Wanderer, der mir schon von weitem zuruft. Mein StrongmanRun-Shirt hatte mich als Deutschen verraten und wir kommen ins Gespräch. Die nächsten Kilometer bis nach Inversnaid verbringen wir gemeinsam und ich erfahre einiges über asiatische Kampfkunst, Ringen und Knieprobleme. Nach einigen ruppigen Metern und meinem ersten und einzigen Faststurz kommen wir in Inversnaid an und bewundern den dortigen Wasserfall und die Promenade. Auf einem Platz stehen einige Tische, an denen wir unser Mittagsmahl einnehmen. Ich habe nur noch knappe 6km zu absolvieren, daher treibt mich wenig, das Gespräch ist angenehm und das Wetter gut. Wie üblich etwas zu spät brechen wir dann wieder auf, trennen uns aufgrund des hohen Lauftempos des Wandergegeners aber schnell. Axel plant, den ganzen Weg in 6 statt 9 Tagen zu absolvieren und hat am heutigen Tag noch einige Meter vor sich. Als Bettschläfer hat er zudem noch mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen: Verfügbarkeit von Betten, Finden der Herberge, Entfernung vom Weg. So sehr ich manchmal auch gern meinen Kopf auf ein Kissen legen würde, so geniesse ich doch die Möglichkeit, mein Zelt überall auf den Boden pinnen zu können.
So weit die Theorie. Praktisch ist das Finden eines geeigneten Zeltortes nicht ganz so einfach. Es ist mir auf der gesamten Reise kaum gelungen, einen ebenen Platz zu finden. Die meisten Untergründe waren abfallend oder schief und vor allem meist uneben und stellen somit eine ernsthafte Gefahr für das Zelt und die Isomatte dar. Ein spitzer Stein oder ein Ast und der Boden oder die Isomatte ist durch und die reise gefährdet. Die komplette Abspannung meines Zeltes lässt sich zudem nur auf einer ebenen Fläche perfekt ausrichten (Stichwort Innenhaut/Außenhaut). Glücklicherweise ist das Zelt lang genug und ich kurz genug, um auch bei mangelhafter Abspannung in einer geschützten Ecke des Zeltes liegen zu können.
An einem Steingebilde steht dann ein Schild, das auf das angebliche Versteck von Rob Roy, der in dieser Gegend sein “Unwesen” getrieben hat, hinweist. Der Weg ist hier eine Ansammlung von Steinen und Schluchten, mehrfach muss man die Hände zu Hilfe nehmen und auch die Füße mit Bedacht setzen. Dieser Abschnitt gilt neben Devils Staircase als schwierigste Passage des gesamten Weges, ist trotzdem aber stark von meist Tageswanderern frequentiert. Mehrere Kilometer geht es rauf und runter über Treppen, Steine, Bäume, Büsche und Halteseile. Ich merke deutlich die Anstrengung der 1,5 Aufstiege und wünsche mir endlich das Ende der schwierigen Passage und das Erscheinen des Bothy, das partout nicht kommen will. Irgendwann kommen Ruinien zu beiden Seiten, aber es ist kein Schild zu sehen. Kommt überhaupt eins? Bin ich schon vorbei? Hm, nach weiteren 4 bis 5 Kilometern soll ein Campingplatz kommen. Doch plötzlich ist das Bothy da, nicht zu verfehlen. Man läuft gerade darauf zu und mitten in die Eingangstür, zudem sind bereits zwei weitere Wanderer dort. Nach einigen Sätzen ist auch die Nationalität geklärt und das übliche BlaBla beginnt. Ich so, du so, ich damals, du damals, wo komme ich her, wo willst du hin. Die beiden Pfadfinder sind etwas knorrig, so richtig warm werden wir nicht, trotzdem erfahre ich durch den nun dritten Versuch der Beiden Nützliches über die kommenden Etappen. Kurz nach dem Abendessen um sieben wollen sich die beiden schon hinlegen, was sollte man sonst auch tun? Im Licht meiner Strinlampe lese ich noch lange in meinem Buch und lausche den Mäusen, die es natürlich auch hier gibt. Achja… eine Kleinigkeit habe ich vergessen zu erwähnen. Am Morgen hatte ich unter den Büchern und Zeitschriften im Bothy auch ein Gästebuch gefunden, das meine Mitbewohner davorsitzend ignoriert hatten. Auf jeder Seite stand: Vorsicht vor Mäusen! Essen an den Schnüren aufhängen usw… Lesen bildet und schützt vor Verlust!
Früh am Morgen herrscht schon reges Treiben, meinen Mitwohnern kann ich fast nur noch Nachwinken und habe dann die Hütte wieder für mich. Es regnet wieder, hurra! Ab jetzt beginnt ein neuer Abschnitt des Weges: die Highlands stehen vor der Tür! Weitere Munros warten! Loch Lomond hinter mir und mit vielen Hügeln im Visier geht es in den sechsten Tag. Kurz bevor ich zur Beinglasfarm komme, erwischt mich ein richtiger Platzregen. Völlig durchnässt kann ich ins Klohäuschen flüchten und für kurzfristige Trockenheit sorgen. Diese Farm und Campingplatz hat sogar einen eigenen Laden und ein eigenes Restaurant. Nach Tagen karger Kost kann ich einem Cheeseburger und einem Guinness nicht wiederstehen. Leider hat mir der penetrant schmeckende Cheddar den Genuss etwas verhagelt. Schlimmer ist aber die Schwere, die sich in meinem Körper ausbreitet, sei es vom Essen oder vom Alkohol. Zudem geht es die ersten Meter nach dem Aufbruch stetig bergauf, was war auch von den Highlands anderes zu erwarten? Der Bauch schmerzte, der Rücken schmerzte, der Nacken schmerzte. Die richtige Justierung des Rucksackes ist eine Wissenschaft für sich und zumindest bei mir die Suche nach einer relativ schmerzfreien Position. Irgendwas schmerzt immer, der Nacken bei mir leider fast dauerhaft. Nach jahrelangen Studien kann ich aber immerhin sagen, dass die Schmerzen gewichtsunabhängig  und durch Ausgleichsversuche auf meine Kopfhaltung zurückzuführen sind.
Irgendwann läuft es wieder rund und ich kann einige Kilometer machen. Tagesziel soll ein Wildcampingplatz kurz nach der Hälfte des Weges sein. Diese Plätze sind auf den Karten verzeichnet und bei Verfügbarkeit kostenlos zu benutzen. Oft stellen diese Wildcampingplätze auch die einzigen Möglichkeiten dar, um überhaupt sein Zelt aufstellen zu können. In dieser Gegend herrscht landwirtschaftliche Nutzung mit umzäunten Wiesen und Weiden vor, alternativ gibt wellige Geröllfelder und diverse stark geneigte Hänge, zumeist in direkter Wegnähe. Da ich nicht unbedingt mit den Landbesitzern diskutieren möchte oder an ungewünschten Stellen ungefragt schlafen mag, wähle ich hier lieber eine offizielle Fläche.
Ich komme weiterhin gut vorran und irgendwann auch am höchsten Punkt des heutigen Tages bei der Hälfte des Weges in der Nähe von Crianlarich an. Nach einer ausgiebigen Kaffeepause in leichtem Regen geht es nur noch bergab – vermeintlich. Zwischendurch immer wieder rauf, und wieder runter, und wieder rauf… irgendwann erreiche ich den Falloch River, finde aber an der auf der Karte gezeigten Stelle statt einer Campingfläche eine Pferdereitanlage mit Zeltverbotsschildern. Ob sich diese jetzt nur auf den Stall beziehen oder für den ganzen Reitbereich gelten, erschliesst sich mir nicht und mein Weg geht weiter. Manchmal wünscht man sich in solchen Augenblicken eine Beratungsmöglichkeit, so muss ich für mich selbst entscheiden. Die Karte weist einen Campingplatz in 2-3km Entfernung aus – endlich wieder bezahlen! Mit dem letzen Tageslicht komme ich kurz vor 8 an der Auchtertyre Farm an und finde alle Büros verschlossen, auch ist kein Zelt weit und breit zu sehen, nur einige beleuchtete Wigwams. Da ein Weitergehen kaum mehr möglich ist und mögliche Campingflächen durch die Weiden rar, stelle ich mein Zelt einfach irgendwo auf einem Stück Wiese auf. Natürlich boggy und schief. Boggy steht für schmatzenden, matschigen Untergrund und trifft es schön prägnant auf den Punkt. Dann nähert sich ein Mann mit Hund von der Seite, dem ich hinterherlaufe und der sich als Eigentümer herausstellt. Da er kein Geld bei sich trägt, gebe ich ihm schweren Herzens alle meine Münzen, spare dadurch aber fast ein Pfund.
Immerhin gibt es eine komplett ausgestattete Küche, in der ich mein Abendmahl kochen kann – Reis mit Bohnen. Da mein Kaffeevorrat schnell zur Neige geht, decke ich mich hier auch noch mit Tee ein. Den Tee konnte ich nur durch Hilfe finden, da die Verpackung mehr nach Damenbinden aussieht und deshalb von mir in allen bisherigen Läden ignoriert wurde, zudem gibt es nur eine einzige Sorte und kein ins Auge springendes Regal! Nach diesem feuchten Tag kam mir eine Dusche gerade recht! Kurz umziehen und auf unters Nass! Bibbernd reisse ich die Tür auf und schaue nur in den Schlund eines Münzautomates! Und wo war mein gesamtes Münzgeld? Richtig, in der Tasche des Platzwartes! Aaargh! Die Leute in der Küche hatten ihr Kleingeld bereits in der Waschmaschine und dem Trockner verteilt. Mit dem Engländer unterhalte ich mich dann nett für zwei Stunden, während ich mich innen aufwärme und mein Handy mit einem geliehenen (weil vergessenen)Adapter lädt. Der sich auf Spendensammlung befindliche Engländer aus Edingburgh unterhält sich während des Gesprächs mit jemandem über Facebook, zwischendurch kommt seine Frau immer wieder mal rein und schaut nach der Wäsche. Erst am nächsten Tag sollte ich verstehen, dass die Frau nur eine Freundin und gleichzeitig die Gesprächspartnerin von Facebook war, die sich nur im wärmeren Wigwam aufgehalten hat. Skurril!
Mein kompletter Rucksack verbleibt dieses Mal in der Küche, um etwas trocknen zu können. Ich entschuldige mich für die Geruchsbelästigung… nach 6 Tagen on the road und andauerndem Regen leider kaum zu vermeiden. Anstrengend ist vor allem der stete Wechsel zwischen Regen und Sonne, zwischen Jacke und Shirt, zwischen Schwitzen und nass werden.