Es ist Morgen. Kalt, windig, ungemütlich. Raus aus dem Zelt und rein in die Küche zu warmem Kaffee. Zum x-ten Male schaue ich auf die Strecke der nächsten Kilometer. Wie weit soll ich gehen? Soll ich auf dem Ben Lomond hoch? Durch die ungewollte Verlängerung bin ich meinem eigentlichen Tagesziel schon auf knapp 10km nah gekommen. Soll ich also weiterlaufen, oder einen halben Tag verschenken? Oder sofort rauf auf den Ben Lomond? Reicht dazu noch die Zeit? Wie lange dauert der Aufstieg? Aber wenn ich bereits heute oben war, habe ich einen weiteren Tag eigentlich unnötigen Puffer. Die Zeit verrinnt. Plaudereien mit anderen Wanderern aus/in beiden Richtungen. Ein Pärchen ist vor der letzten Etappe und packt unglaublicherweise einen Campingkocher mit Doppelflamme Kaliber Wohnwagenurlaub aus dem Rucksack! 28kg wöge der Rucksack, 22kg der seiner Freundin! Na Prost Mahlzeit, mir reichen meine mit vollem Getränkereservoir 14kg. Also erstmal in die Dusche, dann sieht alles wieder freundlicher aus! Am Abend wollte ich nicht, um nicht mit feuchtem Haar im Zelt liegen zu müssen. Leider sind noch zwei Leute vor mir, dann ist das Wasser so warm – die Zeit verrinnt.
Als ich aus der Dusche trete, kann ich meinen Augen kaum trauen. Nun gut, den Augen eigentlich schon, aber meinem Hirn nicht. Hatte ich das unfreundliche Wetter erwähnt? Kann mir dann bitte jemand sagen, warum ich Horst nicht erst mein Zeit abgebaut habe, um dann duschen zu gehen? Also darf ich mein Zelt in strömendem Regen abbauen und einpacken – neuer Artikel aufs Merkblatt für die nächste Tour: wasserdichter Packsack für das Zelt. Mäßig motiviert schultere ich dann meinen Rucksack und ziehe von dannen. Nach einigen Kilometern sehe ich dann einige erlaubte Zeltplätze direkt am Ufer des Loch Lomond, immerhin ca. 10 an der Zahl. Gut zu wissen für ein nächstes Mal, aber etwas wenig, um in der Hauptwanderzeit einen Schlafplatz zu finden. (nach 5 Monaten habe ich jetzt fast alle Ortsnamen wieder vergessen uns muss sie nachschlagen). Nach knapp 2,5 Stunden durch teilweise strömenden Regen erscheint endlich Rowardennan vor mir. Wenn ich hier den Ben Lomond hoch will, muss ich auch in der Nähe übernachten. Also geht es erst Richtung des Zeltplatzes, der aber zur Jugendherberge gehört. Für ein Jahr geschlossen. Dann nehme ich eben ein Zimmer. Ausgebucht. Das ortsansässige Hotel würde das Budget sprengen.
Hm. Ich schlurfe zuerst zurück in den Ort und zu einer Hütte auf dem Parkplatz direkt am Aufstieg zum Ben Lomand, 974 Meter höher. Nach einem unterwegs aufgeschnappten Tipp endet das Campverbot wenige Kilometer nach Rowardennan an einem Gatter. Bis jetzt weiss ich nicht genau, ob das so exakt stimmt, denn ich habe nie ein Schild mit einer Aufhebung des Verbots gesehen, allerdings einige Kilometer weiter ein erneutes Hinweisschild… In der Hütte sehe ich die Rucksäcke der Engländer, die also den Aufstieg gewagt haben. Nach einer Ruhepause und zahlreichen Überlegungen stelle ich meinen Rucksack ebenfalls ab und stapfe nur mit Notverpflegung den Berg hinauf. Was hätte ich sonst bei Regen mit dem Nachmittag anfangen sollen? Mittlerweile ist es 15 Uhr und ich verfluche meine Trödelei am Morgen. Hätte ich doch nur, wäre ich doch, warum bin ich nicht…. so bleiben mir jedoch nur knapp 5 Stunden für rauf/runter. Die Entfernung ist auch etwas unklar, die Aussagen schwanken zwischen 7 und 13 Kilometern. Mir kommen andauernd Wanderer entgegen, die allesamt ausgepowert und klatschnass aussehen. Es sei Sturm dort oben, ein richtiges Unwetter. Die Zeit würde für mich wohl noch reichen, aber sie hätten schon länger keinen mehr beim Aufstieg getroffen – die letzten wären 3 junge Burschen gewesen. Deren Lauftempo kannte ich ja schon… Mir ist also klar, dass niemand nah vor mir ist und rückschauend ist auch niemand mehr zu sehen. Ich würde also den Abstieg allein machen müssen und wäre bei jeglichen Problemen ohne Backup, zusätzlich wusste niemand, dass ich am Berg bin. Bereits 3 etwas haarige Stellen waren auf den ersten Kilometern zu bewältigen, Felsformationen von knapp 2 Metern Höhe mit Trittsteinen oder schiefen Ebenen, alles schön nass und vermatscht und beim Abstieg doppelt schön. So gehe ich den sanft ansteigenden Weg weiter und weiter, immer wieder mit Rückschau auf das Loch Lomond und mit Blick auf Nachfolger. Irgendwann treffe ich ein Paar, die mir sagen, dass sie abgesehen von einer Gruppe die Letzten wären, das Wetter scheußlich und mit  null Aussicht sei, weiterhin wäre hier ungefähr die Hälfte des Aufstieges.
Auf einem großen Stein geniesse ich die Nieselpause und bewundere die Aussicht, stehe dann auf und beginne den Abstieg, die Engländer nun hinter mir wissend. Die Zeit hätte vermutlich noch knapp gereicht, aber wer weiß, was der weitere Weg noch für Späße bereit hält. Als Alleinreisender muss man immer besondere Vorsicht walten lassen. So komme ich entspannt und vorsichtig wieder unten an der Hütte an, nur wenige Minuten vor den Engländern, die völlig durchnässt aber breit grinsend ankommen und jetzt nur noch zum Zeltplatz der Jugendherberge wollen, dann aber sehr unerfreut von mir über die Schliessung und Ausgebuchtheit informiert werden. Als letzte gute Tat kann ich ihnen ein nahegelegenes Bothy auf der Karte zeigen, das dann ihr Nachtlager werden soll. Mir ist die Entfernung zu weit, da ich am Folgetag sehr früh den erneuten Aufsteig wagen will und möglichst wenig Zeit für den Anmarsch verwenden mag. Als positiver Nebeneffekt des Campingplatzes stellte sich das regelmässige Treffen mit ehemaligen Mitbewohnern heraus, die man dann im Anschluss fast an jeder Ecke wiedertraf.
Mein Zelt steht jetzt also zwei Meter nach dem Schlagbaum in einer begrasten Ausweichfläche. Man glaubt kaum, wie schwer es mitunter ist, eine einigermassen trockene, ebene und wurzelfreie Fläche von 2*1,5m zu finden. Noch gibt es ein wenig Restsonne, unter der ich ein wenig Aufwämung versuche. Einziges Mittel gegen Langeweile ist jetzt: Bewegung. Also laufe ich etwas nach links, dann etwas nach rechts, treffe noch den ein oder anderen. Hoffnungsvoll finde ich nur knapp 500m weiter ein Zelt, dessen Inhaber sich aber schnell als gewollter Einzelwanderer herausstellt. Mit dem Verlischen des Tageslichtes kann man sich außerhalb des Zeltes kaum noch aufhalten und der Schlafsack ruft. Rucksacken aus- und wieder einpacken, Sachen ordnen, Minirucksack für den nächsten Tag vorbereiten, ein paar Zeilen lesen, schlafen.
Um sieben dödelt dann der Wecker, Kaffee kochen, Zelt einpacken und los. Alles nass, alles klamm, warum habe ich keinen Stuhl eingepackt… knapp 3k später bin ich wieder an der Hütte, verstecke meinen Rucksack, trödel noch ein wenig rum und mache mich mittelmässig motiviert an den erneuten Aufstieg. Das Wetter ist wechselhaft. Teils bewölkt, immer wieder sonnige Passagen, andauernd aber auch Regen, natürlich mit immerwährendem Wind. Im Nachhinein würde ich über dieses gefühlte Schlechtwetter noch schmunzeln, aber das konnte ich noch nicht ahnen. An einer Wegbiegung steht plötzlich eine Herde Highland Cattles. Neben dem Weg und mitten auf dem Weg. Es gibt keine andere Möglichkeit, ich mich mitten hindurch. Es ist Samstag und es sind andauernd Leute unterwegs, die ich entweder überhole oder umgekehrt. Allein ist anders. Den halfwaypoint vom Vortag finde ich zweifelsfrei nicht wieder, dafür ist plötzlich der Gipfel in Sicht. Dachte ich. Relativ sachte steigt der Weg weiter hinauf. Ein paar Serpentinen, ein paar Steine und Geröll, keine besonderen Schwierigkeiten. Aber nach jedem vermeintlichen Gipfel geht es wieder weiter und noch höher. Mittlerweile bin ich in den Wolken angekommen und alles ist leicht verhangen. Recht unmotivierend kommen mir auch schon die ersten wieder entgegen, die Zahl der Autos auf dem Parkplatz hatte darauf schon hingewiesen. Dann, relativ plötzlich, bin ich oben. Ein kleines Plateau, ein Gipfelstein, Wolken und kalter Wind. Zwischendurch gibt es einige Löcher in der Wolkendecke und Teilbereiche des Loch Lomond lassen sich erahnen. Der Blick nach Norden und damit auf zukünftige Tage bleibt mir leider verwehrt. Nach einer windgeschützten Verpflegungspause mache ich mich an den Abstieg, wie gewohnt sehr gemächlich. Jeder, aber auch wirklich jeder überholt mich. Die Krönung ist ein Opa mit Krückstock, von dem ich mir aber immerhin eine stockgestützte Abwärtsschwungtechnik für treppenartige Hindernisse abschauen kann. Die drei etwas komplizierten Stellen im ersten Drittel sind die einzigen geblieben und machen den Komplettaufstieg abgesehen von den ca. 974hm vergleichsweise einfach. Verschiedene Reiseführer bezeichnen den Ben Lomond (und auch den Ben Nevis am Ende des WHW) als den Munro mit dem leichtesten Aufstieg und daher auch als einer der meistbestiegenen der Berge, die höher als 3000 Fuss sind (914,4m). Von den insgesamt 283, die ein Munro-Bagger erklettern will. habe ich nun den ersten geschafft. Geschafft bin ich auch, als ich unten in der Hütte ankomme. Abtrocknen, Klo, Ausruhen, Kaffe kochen. Heute soll das Bothy mein Ziel sein. Die Hütte dient als Sammelpunkt für Wanderer und so berichte ich einem Münchener Pärchen von meinem Plan und der Unverfügbarkeit von Schlafmöglichkeiten in diesem Bereich. Nach gefühlten 10km kommt dann ein fast unsichtbarer Pfad, der nach rutschigen Metern durch Morast und über Holzplanken zu einem halbverfallenen Haus führt. Glücklicherweise hatten mich die Münchener bei einer Rast eingeholt, so konnten wir den nicht ganz leichten Weg gemeinsam suchen, finden und begehen. Extrem ungern hätte ich auch allein in dieser Hütte schlafen wollen, mit knarzenden Geräuschen, kaum Licht und allerlei Unrat. Immerhin gibt es ein Schlafplateau, ein Dach oben drüber und Tisch und Stühle. Auf einem Erkundungsgang zum Ufer mache ich auch erste Bekanntschaft mit den Midges. Zu denen später mehr.
Nach Abendessen, etwas nettem Smalltalk und Austausch von bisherigen Erfahrungen kann ich meine wohlverdiente Nachtruhe antreten. Zuvor habe ich mein gesamtes Zelt und die komplette Kleidung auf diversen Wäscheleinen verteilt. Das Bothy selbst liegt in einem verwunschen anmutenden Waldstück knapp 150m vom Seeufer entfernt und ist Überbleibsel einer verlassenen Siedlung, von der im näheren Umkreis noch einige Ruinen zu finden sind. Ein Erkundungsgang fällt aber relativ kurz aus, da der Weg irgendwann nur noch aus Schlamm und Wasserlöchern besteht. Ursprünglich führte der WHW genau hier durch, aber durch Uferabbrüche und feuchtes Wetter wird von einer Benutzung abgeraten und es weist auch kein Schild mehr auf den Einstieg zum Pfad hin. Von einer Benutzung nach stärkeren Regenfällen kann ich auch abraten. Später sollte ich noch Wanderer treffen, die diesen ursprünglichen Weg benutzt haben, aber von sehr anstrengenden Bedingungen erzählen konnten.
Dieses Bothy kann ich auch nur bei schlechtem Wetter empfehlen, sonst ist man in seinem Zelt besser aufgehoben.