Man liest und hört so einiges, wenn man mit offenen Ohren und Augen durch die Welt spaziert, sowohl real als auch digital. Spott überall, teilweise auch Häme. Opfer sind oft Menschen, die durch irgendetwas auffallen – gerne dickere Menschen, zu denen auch ich mich zählen muss. Es gibt ein beliebtes Muster, wenn das Gespräch auf das Thema Laufen komme. Das geht etwas so:

“Du machst bestimmt überhaupt keinen Sport, sondern sitzt abends nur vor dem Computer und isst Chips und trinkst Cola?”

“Ne, hör auf, du machst doch Witze? Wie willst du denn laufen bei deinem Gewicht?”

“Ach, SO langsam, dann zählt das ja nicht.”

Wenn die Eingangsfrage nicht gleich mit einer falschen Unterstellung beginnen würde, könnte ich ja einfach schweigen, aber meist kommt es dann eben zu obigem Gesprächsverlauf.

Das Internet ist voll von Spott über Walker, “Stöckchenschwinger” ist noch eine der freundlichen Varianten. Gerade zu Beginn eines Jahres nehmen solche Aussagen proportional zu der Zahl der sporttreibenden Menschen zu.

Ich gehe gerne direkt von der Arbeit aus joggen. Manchmal treffe ich dabei Kollegen (zumeist rauchend) vor der Tür. “Ach, du gehst im dunkeln, damit dich keiner sieht?” oder wahlweise “Ach, du startest von hier, damit wir es alle sehen?”.

Ein Bekannter berichtete mir vor Jahren tatsächlich, dass er im Sommer immer Schwierigkeiten mit seinen Walkingeinheiten hätte, weil es erst so spät dunkel werde und er sich sonst schämen würde.

Ich gehe natürlich trotzdem laufen, wann und wie es mir passt, aber das sagt ja nichts über meine Gefühlslage aus. “Mir doch egal. Sollen die Leute doch reden was sie wollen.” ist eine übliche Abwehrhaltung, die ich aber nicht für mich in Anspruch nehmen kann. Ich richte mich zwar nicht nach der Allgemeinmeinung (falls diese nicht zufällig meiner eigenen entspricht), trotzdem bin ich oft getroffen und beleidigt.

Böse Gedanken sind also in meinem Kopf, als ich daheim vor die Tür trete. Zwei Männer stehen davor und betrachten mich. Ich hebe ein Bein und dehne mich etwas, die Uhr sucht das GPS-Signal. “Was denken die jetzt wohl”, sagt die Stimme in meinem Kopf “los Uhr, mach hin und bloss weg hier”. Mir kommt ein Radfahrer entgegen, der nicht ausweicht und dann sofort ein Fußgänger, für den das gleiche zutrifft. Ich muss mich an einigen Studenten vorbeidrücken, die zu dritt nebeneinander die komplette Straßenbreite einnehmen. Der Weg in den Schlosspark führt direkt über das Unigelände. Tausende junge, sportliche Menschen. Ich könnte natürlich außen herum, aber siehe oben. Im Schlosspark kommen mir dann auch andauernd Spaziergänger entgegen, die komisch schauen. Ich mache mir Gedanken über meine Optik und was alles so am Oberkörper wippt. Was hat der im Vorbeigehen gesagt? Vom Schloßpark komme ich zum Wald, hier regieren die Läufer, Walker und Hundeleinen-über-den-Weg-Spanner(ja, auch ich habe Feindbilder ;)). Mir kommt eine fröhlich plappernde, schnelle Vierergruppe entgegen, von hinten überholt mich eine ältere Frau. Die denken bestimmt alle, den sehen wir auch nur einmal und dann nie wieder. Stimmung, Laune und Trainingsstand sind auf dem Tiefstpunkt. Alle schauen komisch, grinsen doof oder gleich weg.

Orts- und Themenwechsel. Person xy (damit ist niemand direkt gemeint) beschwert sich über die Umwelt und das Verhalten anderer Menschen, gerne auch über mich. Sehr oft bin ich sofort geneigt zu widersprechen. Woher wolle sie(die Person) das wissen, das müsse doch überhaupt nicht so gemeint gewesen sein, warum siehst du immer gleich einen Angriff, das wäre doch ganz neutral und wertfrei gewesen, überall Hater und Neider. Boah, geht mir sowas auf den Keks! Alle sind immer komplett gegen dich und alles und jeder ist schlecht!

In diesen Augenblicken halte ich mir gerne mal selbst den Spiegel vor die Augen und blicke hinein. “Und du selbst? Bist du etwas besser? Naaaaaa?”

Statt den nächsten Lauf mit Hass und schlechter Laune zu starten(nicht ohne Grund hiess es hier früher mal “Laufragebuch”), probierte ich es einfach mal umgekehrt mit positivem Denken nd der Suche nach Zustimmung.

Ich trete also auf die Straße vor meiner Haustür, dehne mich etwas und laufe los, umrunde Fußgänger und weiche Radfahrern und Autos aus, husche über den Campus und durch den Schlosspark. Hat da nicht jemand gelächelt? Hm, die Spaziergänger schauen überall hin, aber nicht zu mir. Der entgegenkommende Läufer schaut auch ganz normal, die alte Frau lächelt freundlich. Ich habe gute Laune und springe über eine Hundeleine. Die entgegenkommende Läufergruppe lächle ich freundlich an, werde aber komplett ignoriert, auch die mich überholende Frau von hinten hasse ich noch. Noch eine Läufergruppe, diese aber mit freundlichem Nicken. Alle nett, ein schöner Lauf. Ich war zwar langsam, aber so kann es weiter gehen.

Rückblickend kann ich nicht sagen, ob es einen wirklichen Unterschied bei beiden Läufen und dem Verhalten der anderen Menschen gab, sehr wohl aber in meinem Verhalten und meiner Gefühlslage. Statt Blicken auszuweichen, habe ich machmal den Kopf gehoben und ein freundlichen Gesicht versucht. Wie schaut wohl jemand zurück, wenn man ihn böse ansieht oder absichtlich überhaupt nicht?

Zwei Läufe wie Fegefeuer oder Blumenwiese, nur abhängig von meiner inneren Einstellung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass beide Einschätzungen nicht stimmen. Viele Menschen, die ich getroffen habe, hatten bestimmt trotzdem so ihre Gedanken, viele andere aber bestimmt auch gegenteilige, die meisten aber vermutlich überhaupt keine.

Mir hat mein Psychotest gezeigt, welchen Einfluss meine Erwartungshaltung auf meine Gefühlslage haben kann. Ich versuche nun, neutraler unterwegs zu sein.