Alle Jahre wieder? Zumindest alle zwei Jahre zu den großen Turnieren! Unausweichlich! Sie kommen immer wieder, die Panini-Bilder. Und mit ihnen die verdrängten Erinnerungen und der aufgestaute Hass.

Was kann schlimmer sein, als von den letzten Pfennigen eine Tüte Bilder zu kaufen, von denen man jedes bereits besitzt? Man könne doch tauschen, sagt dann der Volksmund. Haha! Ein müdes Lächeln! Tony Woodcock? Habe ich schon 6-mal. Wie jedes andere Kind in der Schule auch.

Aber von vorn. Am Anfang ist das Album. Leer, die erste Tüte ist aber dabei. Wir schreiben das Jahr 1982, ich bin 9 Jahre alt. Leider habe ich keine finanziellen Aufzeichnungen mehr aus dieser Zeit, aber ich meine mich an 50 Pfenning Taschengeld in der Woche zu erinnen. Dazu gab es noch einen monatlichen Betrag von meinem Großvater, den ich aber holen musste. Leider hat er mir dabei fast jedes Mal den Unterschied zwischen Hol- und Bringschuld erklärt. Das ist aber eine andere Geschichte.

Die einzelne Tüte hat 25 Pfenning gekostet und 6 Bilder beinhaltet. Auch hier könnte ich irren, da Preise und Mengen Jahr für Jahr anders waren (später 5 für 25, 5 für 30, 6 für 40…). Trotzdem konnte ich mir rein rechnerisch zwei Tüten in der Woche kaufen. Damit hatte ich dann nach der ersten Woche 12 Bilder. Von 400 (geschätzt, aktuell wohl > 600). Die Bilder sind meist 6 Wochen vor einem Turnier erhältlich, zusammen mit dem Turnier also ca. 10 Wochen. Macht 20 Tüten und ca. 120 Bilder. Von 400. Jetzt muss man aber von den 120 die doppelten Bilder abziehen. Und den Wucher beim Tauschen! Pierre Littbarski – 6 Bilder. Ein Wappen mit Glitzer – 10 Bilder. Man möchte es nicht wahr haben, aber nach wenigen Wochen versteht der Grundschüler, dass er das Album nicht wird füllen können. Schlimmer noch, einige Schulfreunde können es und haben es zum Teil auch schon. Sie bekommen Bilder von ihren Eltern geschenkt, von Geschwistern, von Nachbarn. Oder von Schulfreunden, die vorher von dir Herz und Niere haben wollten. Es ist also ein Spiel von Macht, Besitz, Freundschaft, Ungerechtigkeit, Klüngel und hatte ich Ungerechtigkeit schon erwähnt. Und das bereits zu Grundschulzweiten, während man lieber Burgen im Sandkasten bauen sollte statt das harte Leben der Erwachsenen kennenzulernen.

Ich mag Fußball, ich mag Bilder, ich mag Sammeln. Also her mit den Bildern! Mit der Meinung stand ich im Elternhaus allerdings allein. Völlig korrekt wurde auf die Geldmacherei hingewiesen und auf eine bessere Verwendung des Taschengeldes im Sparschwein (Das Sparschwein! Stoff für 250 weitere Zeilen…). Ich musste also den Schritt in die Illegalität tun! Natürlich wurde ich Jahr für Jahr irgendwann enttarnt. Als wäre der Ärger über die eigene Unaufmerksamkeit nicht schlimm genug, musste ich mir auch zahlreiche Vorwürfe und Unterstellungen anhören. Ich würde das ja nur tun, weil…(die anderen Kinder das auch, die anderen Kinder das nicht, wir es verboten haben, du nicht hören willst, blablabla). Leider war ein Grund nie dabei: weil ich es gern wollte.

Nun war ich ja bereits in der Illegalität, da ist es ja nicht weit zur nächsten Straftat! Wie sollte ich an Geld kommen? Betteln war eine Variante, aber nicht sehr ergiebig. Die Nachbarn erzählen es ja dann doch wieder den Eltern… Raub bietet sich an! Das mütterliche Portemonaie (falls du das hier liest: nochmals sorry!)! Natürlich nicht in großen Mengen, sondern schön unauffällig in kleinen Münzen. Auf diese Weise bekommt man einige Bilder zusammen. Natürlich nicht mal annähernd genug! Man kann sich nun auf nur ein Land konzentrieren, oder aber größere Geschütze auffahren. Habe ich glücklicherweise nicht, aber mein ehemals bester Freund, der seiner Mutter gleich 50 DM entwendete und einen kompletten Karton kaufte. Er hat mir trotzdem kain Bild abgegeben. Hatte ich schon Enttäuschungen erwähnt? Später hörte ich, dass er mit 18 ohne Schulabschluss oder Lehrstelle Vater wurde. Ha!

Während ich mich also einer dreistelligen Zahl meiner Bilder näherte, waren viele Schulfreunde wesentlich weiter. Kaum jemand brauchte meine Doppelten, dafür waren einige andere meiner Bilder sehr begehrt.  Als im Juni Geborener war ich natürlich immer einer der Kleinsten und Schwächsten. Es herrschte fauler Handel, falsche Versprechungen und Niederträchtigleit. Mehrmals war der Stapel der Bilder nach einer Durchsicht dünner als bei der Abgabe. Zum Dank wurde man dann noch als Lügner bezeichnet und der Klassenlehrerin gemeldet, die daraufhin meine Eltern verständigte(und wieder aufgeflogen). Für einen Diebstahl, der an mir begangen wurde. Für eine angeblich falsche Beschuldigung, die ich ausgesprochen hätte. Wenn ich ich damals etwas hatte, dann war es ein gutes Gedächtnis. Ich kannte jedes meiner Bilder! Man hätte mich nachts um 4 wecken können, ich hätte jeden Namen nennen können! Leider kann ich hier auch keinen Stein werfen, denn ich kann nicht behaupten, nicht auch selbst Bilder von Freunden gestohlen zu haben.

Kennt jemand jemanden, der so ein Album jemals durch Sammeln und Tauschen füllen konnte? Ich nicht. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird man gezwungen, für einen unverschämten Betrag fehlende Bilder zu bestellen. Am Ende bleibt also die Erkenntnis, dass man nur durch noch mehr Geld und durch Mogeln und Betrug das Ziel erreichen kann! Das soll Sport sein? Sammelsport! Freundschaft? Doping! Undank für diese frühe Lektion!

Wie kann man besser Menschen ablehnen oder ausgrenzen als durch Tauschgeschäfte und unterschiedliche Behandlung? Man kann das natürlich nicht nur Panini anlasten :), aber es dient als gutes Beispiel. Es gab ja auch noch Schuhe von Nike, Hosen von Vanilla, Polos von Lacoste, den Füller von Pelikan und hunderte andere Dinge, um Unfrieden zwischen den Kindern zu stiften!

Ich habe tatsächlich gerade eine Träne im Auge. Wut? Hass? Enttäuschung? Vermutlich alles in Kombination. Einige Dinge aus der Kindheit kann man erfolgreich verdrängen. An andere wird man erinnert. Immer und immer wieder.